Linke Gruppen sprechen von einem "Staatsstreich" der EU-Finanzminister. Tsipras hat vor Schäuble kapituliert.
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Athen/Brüssel/Wien. Die Reaktion von Sandro Maccarones aus Barcelona war deutlich: Sein Tweet auf dem Kurznachrichtendienst Twiter mit dem Hashtag #thisisacoup verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Maccarone, ein Aktivist der linken Podemos-Partei in Spanien, sieht im zwischen der Eurogruppe und der griechischen Regierung ausgehandelten Rettungspaket einen "Staatsstreich". Doch um welche Inhalte geht es bei den Reformvorschlägen genau? Wo liegen die Knackpunkte? Bei dem Programm mit dreijähriger Laufzeit geht es um eine Summe von 82 bis 86 Milliarden Euro. Kurzfristig benötigt Griechenland bis zum 20. Juli 7 Milliarden und bis Mitte August weitere 5 Milliarden. Ein neues Programm des Euro-Rettungsfonds ESM müsste den Angaben zufolge zudem einen Puffer von 10 bis 25 Milliarden Euro zur Rekapitalisierung griechischer Banken enthalten.
Griechenland wollte den in Athen höchst unbeliebten Internationalen Währungsfonds nicht dabei haben, doch der IWF wird weiter mit an Bord bleiben.
So liest sich Griechenlands To-do-Liste, die bis Mittwoch durchs Parlament gepeitscht werden soll:
Die Mehrwertsteuer soll auf 23 Prozent erhöht werden, die niedrigeren Mehrwertsteuersätze auf mehreren griechischen Inseln sollen angehoben werden. Das Pensionsantrittsalter soll nach dem Willen der Gläubiger auf 67 Jahre steigen.
In dem Papier ist zudem die Forderung nach einer Gewährleistung der Unabhängigkeit der griechischen Statistikbehörde Elstat enthalten. Die von der Behörde gelieferten Zahlen sind ja in der Vergangenheit immer wieder angezweifelt worden.
Die Euro-Finanzminister verlangen eine Liberalisierung der griechischen Wirtschaft. So sollen etwa die Regeln für Bäckereien und Apotheken gelockert und der Zugang zu manchen Berufen vereinfacht werden. Interessant ist der Vorschlag der Sonntagsöffnung: Offenbar wird von Griechenland nun gefordert, was für Österreich, Deutschland oder die Niederlande nicht gilt - nämlich die Ladenöffnung am Sonntag. Selbst Finnland, das sich in den Verhandlungen an Deutschlands Seite als Hardliner positionierte, erlaubt die Sonntagsöffnung nur zwischen 12 und 18 Uhr.
Interessant an dem Papier ist gleich das Eingangsstatement: "Der Eurogipfel betont, dass als Voraussetzung für eine mögliche künftige Vereinbarung über ein neues ESM-Programm das Vertrauen in die griechische Regierung unbedingt wiederhergestellt werden muss." Damit sprechen die Euro-Finanzminister jenen Punkt an, der wohl das größte Hindernis in den Verhandlungen war: Griechenlands EU-Partner haben immer wieder betont, dass sie das Vertrauen in Athen verloren haben. Und zwar habe man nicht erst seit dem Zeitpunkt der überfallsartigen Ausrufung eines Referendums durch Alexis Tsipras das Vertrauen in die griechische Regierung verloren, sondern das Misstrauen gehe bis in die Zeit des konservativen Premiers Antonis Samaras zurück, der von 2012 bis 2015 regierte.
Die obenstehende Passage "tiefgreifende Überprüfung und Modernisierung der Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen, . . ." sorgt bei der European Trade Union Confederation (ETUC), dem europäischen Gewerkschaftsbund, für Irritation: ETUC-Sprecher Julian Scola erklärt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass das griechische Arbeitsrecht in einigen Punkten gewerkschafts- und arbeitnehmerfreundlicher als im Rest der EU sei. "Die griechische Regierung soll offenbar angewiesen werden, diese Normen an europäische Standards anzugleichen", meint Scola.
So kann die öffentliche Hand in Griechenland derzeit in bestimmten Fällen die Entlassung von Mitarbeitern untersagen. Einige andere Forderungen fanden sich bereits in früheren Forderungspapieren der Troika. Derzeit reichte für die Ausrufung eines Streiks ein Vorstandsbeschluss. Nach dem Willen der Troika soll in Zukunft eine 50+1-prozentige Mehrheit in einer Urabstimmung notwendig sein. Den Arbeitgebern sollen Aussperrungen von Streikenden erlaubt sein, zudem soll die Finanzierung der Gewerkschaften anders als bisher organisiert werden. Denn bis heute werden in Griechenland Gewerkschaftsbeiträge vom Staat eingehoben und an die Gewerkschaften weitergeleitet.
Streitfall Sicherungsfonds: Der "Transfer von hohen griechischen Vermögenswerten an einen unabhängigen Fonds" war besonders umstritten. Dieser Treuhandfonds sollte nach dem Willen des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble in Luxemburg ansässig sein und den Gläubigern als eine Art Pfand dienen. Griechische Vermögen im Wert von 50 Milliarden sollten in diesen Fonds fließen, die Gewinne aus dem Verkauf des Staatsvermögens für den Schuldenabbau genutzt werden.
Diese Idee ist nicht dazu angetan, das Vertrauen der Griechen in die EU-Finanzminister über die Lauterkeit ihrer Absichten zu festigen: Die ähnlich konstruierte Treuhandanstalt hatte in Deutschland nach der Wende 1989 unter oft dubiosen Umständen DDR-Eigentum privatisiert. Dieser Fonds sollte nach dem Willen Deutschlands nach dem Vorbild der KfW-Bank (Kreditanstalt für Wiederaufbau) strukturiert werden. Die Tatsache, dass Wolfgang Schäuble im KfW-Aufsichtsrat sitzt, hat in griechischen Blogs zu erheblichem Ärger geführt. Nun soll der Fonds offenbar doch in Griechenland ansässig sein, allerdings unter europäische Kuratel gestellt werden. Der Stromübertragungsnetzbetreiber ADMIE soll ebenfalls rasch privatisiert werden, es sei denn, es können "Ersatzmaßnahmen mit gleichwertiger Wirkung auf den Wettbewerb" ermittelt werden.
Das ist die wohl bitterste Pille des Eurogruppen-Papiers für die griechische Regierung: Ein Schuldenschnitt kommt nach Meinung der Euro-Finanzminister nicht in Frage. Für Tsipras ist dies eine empfindliche Niederlage, denn der griechische Regierungschef wird sich nun die Frage gefallen lassen müssen, was er denn nun in Athen als Erfolg verkaufen kann. Interessant ist die strikte Weigerung, über einen Schuldenschnitt nachzudenken, aus einem zweiten Grund: In der schriftlichen Erklärung der Euro-Finanzminister heißt es nämlich: "Es gibt ernsthafte Bedenken in Bezug auf die Tragfähigkeit der griechischen Schulden."
Selbst im Internationalen Währungsfonds werden die Stimmen lauter, die eine Sanierung Griechenlands ohne Schuldenschnitt - oder zumindest erhebliche Streckung der Rückzahlungsfristen - für nicht durchführbar erachten. Deutschland freilich wehrt sich heftig gegen einen solchen Schritt.