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Ohne Einverständnis der UCK gibt es nicht einmal Benzin

Von Marielle Eudes

Politik

Prizren · Die Wachablöse ist unerwartet schnell vonstatten gegangen. Nur drei Tage ist es her, daß das Vorauskommando der deutschen Friedenstruppe in Prizren eingezogen ist · und schon haben | überall die Kämpfer der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK) das Sagen. Sie kontrollieren das Rathaus, das Krankenhaus, das Gerichtsgebäude und die Polizeipräfektur.


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Wer noch das Abkommen von Rambouillet im Kopf hat, könnte denken, die NATO-Truppen würden einschreiten, die UCK entwaffnen, alle Sicherheitsfragen selbst in die Hand nehmen. Aber diese

Vorstellungen sind passe. "Wir haben nicht die Mittel, alles zu machen", bemerkt der deutsche Presseoffizier Hanns-Christian Klasing. Die internationale Friedenstruppe KFOR habe nicht die Befugnis,

die UCK an der Übernahme der Kontrolle des zivilen Lebens zu hindern.

Die Bundeswehrsoldaten würden erst einschreiten, wenn die UCK-Leute von ihren Waffen Gebrauch machten, erläutert Klasing. Es gebe keine rechtliche Grundlage dafür, die UCK-Kämpfer zu entwaffnen oder

ihnen das Tragen von Uniformen zu verbieten. Dafür müßten bei der UNO neue Beschlüsse gefaßt werden.

Die UNO ist weit. Bevor in New York neue Resolutionen ausgearbeitet werden können, schafft die UCK Fakten. Am Sonntag kam die Bundeswehr, am Montag die UCK, am Dienstag verließen die letzten

serbischen Einheiten die Stadt. Und am Mittwoch patrouilliert die UCK durch die Straßen, hat im Rathaus das Kommando übernommen, bemüht sich darum, die Justizverwaltung wieder in Gang zu bringen.

"Wir haben damit begonnen, die Stadtverwaltung neu zu organisieren", erklärt der neue Rathauschef, UCK-Sprecher Kadri Kryeziu.

Die Chefs organisieren die Polizeigewalt neu. Sie sorgen dafür, daß Totenscheine für im Krieg gefallene Albaner ausgestellt werden. Im Gerichtsgebäude, wo die serbischen Einheiten ihre Waffen und

Munitionsvorräte stapelten, wird ebenfalls Inventur gemacht. "Sie haben eine Liste der gefundenen Waffen aufgestellt", erzählt Mustafa, der Wärter. Die UCK habe bereits ermittelt, welche

ausgebildeten Juristen zur Verfügung stehen, um das Rechtssystem wieder ins Laufen zu bringen. Die Arbeit fängt fast bei Null an, denn das Gerichtsarchiv ist niedergebrannt. Ein Register der

Gefangenen gibt es nicht mehr, auch der Immobilien-Kataster ist spurlos verschwunden.

Die UCK vermittelt den Eindruck, als wenn sie das Zivilleben kurzentschlossen wieder in Gang setzen könnte. Auch wenn es in einigen Firmen noch keine Chefs gibt, ist die Produktion wieder angelaufen.

Das System der Selbstverwaltung baut auf dem persönlichen Einsatz der Albaner in ihrer endlich gewonnenen Provinz auf.

Von den internationalen Organisationen · der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) · ist hier noch so gut wie nichts zu

spüren. Fürs erste müssen die Bundeswehr-Einheiten der KFOR und die UCK selbst das Terrain abstecken. Das geschieht in Gesprächen zwischen KFOR-Vertretern und UCK-Kommandanten.

Offensichtlich bemüht sich die UCK um ein gutes Klima und versucht, Zwischenfälle zu vermeiden. Wo immer sich aber eine Möglichkeit bietet, errichtet die UCK neue Bastionen. Vor jeder Tankstelle

steht jetzt ein bewaffneter UCK-Wächter. Die Ausgabe von Benzin wurde zur "militärischen Priorität" ernannt. Sie erfolgt nur gegen Vorlage von Gutscheinen, die ausschließlich von der UCK ausgegeben

werden.