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Ohne Felle stirbt die Identität

Von Barbara Ottawa

Politik

Wenig Beachtung in den Berichten über den Kampf um indigene Rechte finden die Yup'ik Eskimos, oder Inuit, wie es politisch korrekter heißt, die im Südwesten Alaskas im Yukon-Kuskokwim Delta leben. Durch Jagen und Fischen ergänzen viele Familien ihren täglichen Speiseplan. Das Teilen von "Native Food" hat aber auch traditionelle Bedeutung und erhält die sozialen Netzwerke. Durch eine starke Lobby von weißen Sportfischern und -jägern ist diese nun gefährdet.


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"Ich habe mich immer gewundert, warum Flora ihre schwere und unhandliche Tiefkühlbox auf jede unserer Reisen mitnimmt. Dann habe ich es herausgefunden", beginnt Molly Lee, Professorin an der University of Alaska, ihre Studie über die Bedeutung der natürlichen Ressourcen Kanadas für indigenen Frauen, die in die Stadt gezogen sind.

Jedesmal, wenn Flora, eine Yup'ik, in den Südwesten des Landes, dem angestammten Yup'ik Territorium fährt, "nimmt sie aus einem Supermarkt in Anchorage Doughnuts mit, die sie dann gegen diverse Naturalien eintauscht." So fänden sich am Ende jeder Reise in der Tiefkühlbox statt der Doughnuts etwa ein gefrorener Schwan, Robbenfelle oder Walrossflossen, erzählt Lee.

Für viele Yup'ik im Südwesten des Landes ist das Zurückgreifen auf natürliche Ressourcen überlebenswichtig, da die Löhne in diesem Gebiet zu den niedrigsten im ganzen Land zählen. Da der Ackerbau sehr vom Wetter abhängig ist, ist das Jagen und Sammeln oft eine wichtige Quelle für zusätzliche Nahrung. "Viele sind nach Anchorage gezogen, weil es sehr schwer ist, sich am Land seinen Lebensunterhalt zu verdienen", analysiert Lee.

So auch Flora. Für sie wäre es nicht notwendig "Native Foods", wie es Lee ausdrückt, zu besorgen. Sie könnte auch ohne die Tauschgeschäfte überleben. Sie seien allerdings ein wesentlicher Bestandteil ihrer Kultur, betont Lee.

Typische Yup'ik Gerichte wie Ente, Karibu-Rippenfleisch, Robbe oder dergleichen würden nie allein gegessen. "Das Teilen ist ein wichtiges Element der Identität der Yup'ik. Es erhält die sozialen Netzwerke aufrecht", so die Universitätsprofessorin.

Ein Schachspiel um die Vorrechte indigener Völker

Eine große Gefahr für die Nutzungsrechte der Yup'ik an natürlichen Ressourcen stellen die Wünsche der weißen Bevölkerung Alaskas dar.

Etwa 1970, damals war Alaska bereits mehr als zehn Jahre bei den USA, sah man sich gezwungen, die Landrechte der Indigenen zu klären. Weil die USA eine Ölpipeline errichten wollte, speiste man die Inuit im Tausch gegen ihre Rechte auf die Nutzung von Jagd- und Fischgründen mit einer Millarde Dollar, heute etwa 15 Milliarden Schilling, ab. Der Vertrag verpflichtete den Bundesstaat Alaska allerdings dazu alles zu tun, "um die Versorgungsbedürfnisse der Eingeborenen zu schützen".

1980 wurde dieser Vertrag verändert, da einige Punkte vergessen worden waren. In der Neuauflage verabsäumten es die Gesetzgeber allerdings, den Inuit Vorrechte auf die Nutzung von Land zu gewährleisten. Statt dessen erging das Recht an alle "Bewohner ländlicher Gebiete". Eine Änderung des staatlichen Gesetzes zu Gunsten der Inuit wurde vom Höchstgericht des Staates Alaska abgewiesen, mit dem Vorwurf der Diskriminierung.

Hinter dieser Entscheidung steht eine mächtige Lobby weißer Sportfischer und -jäger. Obwohl mittlerweile die US-Bundesregierung dem Staat Alaska die Herrschaft über alle natürlichen Ressourcen entzogen hat, weigert sich die Regierung des Bundesstaates, die Entscheidung aufzuheben.

Der Kampf geht weiter, erzählt Molly Lee. "Ich möchte den Tag nicht erleben, an dem Flora ihre Doughnuts nicht mehr eintauschen kann."