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"Ohne gegenseitigen Respekt verliert Politik an Glaubwürdigkeit"

Von Brigitte Pechar

Politik

Alt-Kanzler Vranitzky hält eine große Koalition per se nicht für verdammenswert, es komme auf den persönlichen Umgang an.


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Wien. "Der Respekt geht mir ab." Altbundeskanzler Franz Vranitzky hat in Gesprächen mit dem Journalisten Peter Pelinka seine Gedanken zum Umgang miteinander - in der Politik, aber auch allgemein in der Gesellschaft - zusammengefasst. Am Freitag wurde das daraus entstandene Buch vorgestellt. Anlass dafür ist auch der bevorstehende 80. Geburtstag des ehemaligen SPÖ-Vorsitzenden (1988 bis 1997) am 4. Oktober.

Der fehlende Respekt und Anstand, bei Politikern, Medien, Regierungen und Staaten, führe dazu, dass Regeln nicht eingehalten und Gesetze verletzt würden. Als Beispiel nennt Vranitzky etwa die Visegrad-Staaten, die gemeinsame Beschlüsse der EU nicht mittragen, weil eigene Beschlüssen dagegen sprächen. Oft würden diese abweichenden Meinungen noch aggressiv vorgebracht, was den Schaden vergrößere.

Es gehe ihm nicht um ein Moralisieren, er befürchte aber, dass mit dem Verblassen des Anstandes Folgewirkungen verbunden seien: "Wenn die politische Auseinandersetzung untergriffig wird und in persönliche Beleidigungen geht, rückt der Charakter der Auseinandersetzungen weg vom politischen Diskurs. Dann fragen sich die Bürger natürlich, ob die noch etwas zusammenbringen." Damit würde man aber bei den Menschen unglaubwürdig und es entstehe Teilnahmslosigkeit.

"Kein abfälligespersönliches Wort"

Gefragt, ob er nach der Nationalratswahl eine weitere Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP für möglich halte, sagt Vranitzky: "Es muss eine große Koalition nicht schlecht sein - auch nach der Wahl." Es komme auf die Personen an. Er verwies darauf, dass er in seiner Kanzlerschaft (1986 bis 1997) vier ÖVP-Vizekanzler hatte - Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek und Wolfgang Schüssel - und auch nicht immer alles "wie geschmiert" gelaufen sei. "Aber erstens ist nie ein abfälliges, persönliches Wort gefallen und zweitens haben die Beschlüsse gehalten." Vranitzky gesteht zu, dass es an der derzeitigen Koalition viel zu kritisieren gebe, will diese Regierungsform aber nicht grundsätzlich verdammen.

Auf den laufenden Wahlkampf wollte er nicht eingehen, auch nicht auf eine mögliche Koalition von SPÖ und FPÖ nach der Wahl. Auf den Altkanzler geht die Doktrin zurück, keine rot-blaue Koalition einzugehen, die bis heute formelle Beschlusslage für die Bundesebene ist. Für seinen Geschmack werde ohnehin zu viel über Koalitionen diskutiert. Besser wäre es, wenn die Parteien alles unternehmen würden, um so stark wie möglich zu werden, und über mögliche Koalition erst im Anschluss an die Wahl redeten.

Warum die einstigen großen Volksparteien überall in Europa schrumpfen, führt Vranitzky darauf zurück, dass sie mit den alten Argumenten arbeiteten. Die Welt, vor allem die Arbeitswelt, verändere sich. Wichtig sei es da, den Menschen zu erklären, warum etwas gemacht werden müsse. Von dieser Kommunikation mit den Bürgern hänge es ab, ob sie mitgenommen werden können.

In dem Buch versucht Vranitzky mit Beispielen aus seinem politischen und privaten Leben, das aus dem Verfall von Umgangsformen oder Institutionen entstandene Chaos zu ordnen.

Zum BUCH

Franz Vranitzky, Zurück zum Respekt. Überleben in einer chaotischen Welt. edition a, Wien 2017, 159 Seiten, 19,95 Euro, ISBN: 978-399001229