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Ohne Grund und Boden

Von Marina Delcheva

Politik
Heimische Landwirte und Kleingartenpächter fürchten, dass sie in Ungarn wegen einer Gesetzesänderung ihren Grund und Boden verlieren könnten.
© fotolia/Zsebok

Mehrere hundert Österreicher fürchten Enteignung in Ungarn. Erste Verfahren laufen.


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Wien. "Ungarisches Land in ungarische Hand", so lautet die Devise des ungarischen Premiers Victor Orban. Die Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, bis Jahresende fast alle ungarischen Agrarflächen in ungarische Hand zu bekommen. Seit dem 1. Mai ist in Ungarn ein neues Bodengesetz für landwirtschaftliche Flächen in Kraft, das alle Pacht- oder Nießbrauchverträge von Ausländern außer Kraft gesetzt hat. Das trifft vor allem Österreicher, die als Nießbrauchnutzer oder Pächter eines Kleingartens oder von Feldern im Grundbuch eingetragen sind. Sie fürchten nun eine Enteignung - ohne Entschädigung und ohne Berufungsmöglichkeit. Im Extremfall bedeutet das: Grund, Haus und Ernte sind weg.

Zum Hintergrund: 1994 wurde Ausländern in Ungarn verboten, Landwirtschaftsflächen zu kaufen. Der Grund dafür war der "Ausverkauf" von Agrarflächen, die von ausländischen Bauern und Unternehmern sehr billig aufgekauft wurden. Nach dieser Gesetzesänderung konnten Ausländer als Agrarfläche gewidmetes Land auf 20 Jahre pachten oder als Nießbraucher benutzen. Mittels eines Nießbrauchvertrages überlässt der Eigentümer des Grundstückes die Nutzung auf bestimmte Zeit einer anderen Person, maximal bis zu deren Lebensende. Der Unterschied zu einem Pachtvertrag besteht darin, dass das Geld für den Nießbrauch bei Vertragsabschluss im Voraus bezahlt wird. Das neue Gesetz erklärt genau diese Verträge, die zwischen 1994 und 2001 geschlossen wurden, für nichtig. Und das trifft vor allem österreichische Landwirte und Hausbesitzer, die solche Grundstücksrechte erworben haben. Wer vor 1994 einen Agrargrund gekauft hat, ist nicht vom neuen Gesetz betroffen. Baugrund und Wohnungen, beispielsweise, kann weiterhin jeder EU-Bürger erwerben.

"Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Grundbesitzern. Ich hoffe nicht, dass sie das jetzt zurückwollen", sagt Franz Koseder zur "Wiener Zeitung". Er hat 1995 sieben Kilometer vom Plattensee entfernt ein Grundstück um 80.000 Schilling als Nießbraucher auf 99 Jahre erworben und steht auch im Grundbuch. Die Grundbesitzer, von denen Herr Koseder damals das Nießbrauchrecht erworben hat, könnten nun die Löschung seines Namens aus dem Grundbuch beantragen - und zwar ohne eine Entschädigung für Grund und Haus zu bezahlen.

Bis Ende Oktober werden ausländische Pächter und Nehmer per Brief von den ungarischen Behörden aufgefordert zu beweisen, dass sie mit den Grundbesitzern eng verwandt sind. "Das werden aber geschätzte 99 Prozent nicht beweisen können, weil sie es nicht sind", erklärt Ernst Zimmerl der "Wiener Zeitung". Danach können die Besitzer, aber auch der Staat, die Löschung aus dem Grundbuch beantragen und die Menschen verlieren ihr Nießbrauchrecht am Grundstück.

Bis zu 200 österreichische Kleingartenbesitzer, vor allem in den Grenzregionen, könnten so ihre Häuser und Gärten verlieren. Laut Zimmerl sind schon drei Fälle bekannt, in denen die ungarischen Agrargrundbesitzer die Löschung der Nießrecht-Nehmer aus dem Grundbuch beantragt haben.

Heimische Landwirte betroffen

Auch heimische Landwirte, die zwischen 1994 und 2001 solche Nießbrauch- oder Pachtverträge abgeschlossen haben, bangen nun um die Felder, die sie in Ungarn bewirtschaften. Etwa 200 heimische Bauern bestellen dort circa 200.000 Hektar, darunter auch große Landwirtschaftsbetriebe mit Sitz in Österreich. Von der Quasi-Enteignung sollten Insidern zufolge etwa 20 Landwirte betroffen sein.

"Es geht nicht an, dass österreichische Landwirte ihre über Jahre getätigten Investitionen entschädigungslos verlieren", heißt es auf Anfrage der "Wiener Zeitung" aus dem Landwirtschaftsministerium. Auf Ansuchen von Landwirtschaftsminister Rupprechter prüft die EU-Kommission nun, ob das neue Bodenrecht überhaupt mit dem EU-Recht konform ist. Eine Entscheidung soll Ende Oktober fallen.

Auch die EU-Rechtsprofessorin Verica Trstenjak bezweifelt, dass das neue ungarische Gesetz Unions-konform ist. "Grundsätzlich ist hier die Verhältnismäßigkeit zu prüfen, also ob eine De-facto-Enteignung mit dem gewünschten Ziel zu rechtfertigen ist", sagt die Professorin zur "Wiener Zeitung". Außerdem sieht sie hier eine Diskriminierung von EU-Bürgern gegenüber ungarischen Bürgern und einen Bruch des Rechts auf Eigentum. Doch auch wenn der Fall vor den Europäischen Gerichtshof getragen wird, könnte eine Entscheidung Jahre dauern. Eine Beschwerde gegen das Gesetz liegt auch beim ungarischen Verfassungsgericht (VfGh) vor, das am 8. April darüber beraten hat, aber noch keine Entscheidung gefällt hat. Das Problem ist nur, dass zwei Drittel der VfGh-Richter von der Regierung entsandt werden. Und die Gesetzesänderung wurde von Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei erst durchgebracht. Ursprünglich sollte diese erst 2033 in Kraft treten.

Ungarn gegen Spekulanten

Die ungarische Regierung rechtfertigt das neue Bodengesetz damit, dass sie den Grund vor "ausländischen Spekulanten" schützen wolle und jene bestrafen wolle, die über "Taschenverträge" das Kaufverbot umgangen haben. Tatsächlich haben, vor allem nach der Wende in den 1990er Jahren, zahlreiche ausländische Betriebe und Landwirte sehr billig Agrarland in Ungarn gekauft und bewirtschaftet, ohne dass Wertschöpfung im Land blieb. Manche haben die Grundstücke später mit großem Gewinn verkauft. Auch einige heimische Landwirte haben später von den sehr billig erworbenen Nießbrauchrechten profitiert. Weiters versichert die Regierung, nicht EU-Recht gebrochen zu haben und auch keine Ausländer zu diskriminieren. Das neue Gesetz schreibt nämlich vor, dass jeder Verkauf von landwirtschaftlichem Grund in der betreffenden Gemeinde ausgeschrieben werden muss. Das Vorkaufrecht dafür haben dann alle Landwirte im Umkreis von 20 Kilometern, also theoretisch auch Österreicher, die dann das Grundstück käuflich erwerben können.

"Hier kauft niemand,weil das Geld fehlt"

Fraglich ist nur, ob tatsächlich kleinere Bauern vom neuen Gesetz profitieren. "Ich wollte schon früher verkaufen, aber hier kauft niemand, weil das Geld fehlt", sagt Herr Koseder. Dafür berichten einige wenige, regierungskritische ungarische Journalisten, dass vor allem Orban-nahe Landwirtschaftsunternehmen zunehmend Agrarflächen aufkaufen und bewirtschaften wollen. "Ich möchte nicht, dass mein Grundstück der ungarischen Regierung in die Hände fällt", sagt Berhard Seidl. Er hat vor 2001 das Nießbrauch-Recht für einen 1,5 Hektar großen Weingarten in der Region Tokaj erworben. Er bewirtschaftet seinen Grund nicht und hat ihn damals gekauft, um den Weingarten "vor der Massenproduktion zu schützen", sie er selbst sagt. "Ich habe das Grundstück bezahlt, ich stehe im Grundbuch, aber ich bin nicht der Besitzer", sagt er. Jetzt fürchtet er, dass Besitzer oder Behörden seinen Namen aus dem Grundbuch löschen könnten und er seinen "wilden Weingarten" verliert.