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Die Industrie macht mit der teuren Spezialnahrung ein gutes Geschäft.
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Wien. Lactose- und glutenfreie Nahrungsmittel sind längst nicht mehr nur im Reformhaus zu finden, sondern mittlerweile auch in fast jedem Supermarktregal. Gleichzeitig steigt die Zahl an Produkten, die sich als "lactosefrei" oder "glutenfrei" rühmen. Von Nahrungsmittelunverträglichkeit Betroffenen wird dadurch der Einkauf erleichtert. Doch auch Menschen ohne Beschwerden steigen auf die Spezialprodukte um - weil sie sich damit etwas Gutes tun wollen.
Davon halten Ernährungsexperten nichts: "Gluten- oder lactosefreie Lebensmittel sind nicht gesünder für Personen ohne Lebensmittelunverträglichkeit oder -allergie", betont Christine Pall, Vizepräsidentin des Verbandes der Diätologen Österreichs. Im Gegenteil: Nimmt jemand nur lactosefreie Lebensmittel zu sich, könne das zu einer Lactoseintoleranz führen - weil das Enzym Lactase, das den Milchzucker aufspaltet, nur mehr in geringem Maße vorhanden ist. Die Folgen sind Blähungen und Durchfall.
Lactosefreie Produkte sind ein Drittel teurer
In den USA haben einige Promis wie Popstar Lady Gaga einen Hype um glutenfreie Ernährung losgetreten. Ziel dieser Diät ist, Gewicht zu verlieren. Glutenfreie Lebensmittel enthalten aber nicht automatisch weniger Kalorien als herkömmliche. "Gluten ist nichts Böses für Personen, die nicht unter Zöliakie leiden", sagt Pall.
Auch Ernährungswissenschafterin Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) ist skeptisch und warnt davor, in Eigenregie auf Spezialernährung umzustellen: "Nur Betroffene sollten zu lactose- und glutenfreien Produkten greifen." Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg kritisiert: "Die Lebensmittelindustrie hat es geschafft, laktosefreies Essen zu einem modernen Lifestyleprodukt zu machen. Es gilt schon fast als trendy, obwohl 85 Prozent der Deutschen Milchzucker gut vertragen."
"Die Industrie macht mit milchzuckerfreien Produkten ein gutes Geschäft, weil sie um ein Drittel teurer sind als ‚normale‘ lactosehältige Produkte", heißt es von der Arbeiterkammer Steiermark. In einer Erhebung wurde der größte Preisunterschied - nämlich 58 Prozent - bei Topfen entdeckt. Andererseits kosten einige lactosefreie Produkte wie Joghurt oder Topfen gleich viel wie die lactosehältigen Alternativen. Getestet wurden die Marken Milfina lacto free, Minus L, Nöm l.free und Spar free from.
Inhaltsstoffe sind oft schwer zu durchschauen
Während eine von drei Personen glaubt, auf bestimmte Lebensmittel "allergisch" zu sein, liegt die tatsächliche Verbreitung von Lebensmittelallergien bei nur rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung, heißt es vom European Food Information Council.
Etwa jeder fünfte Österreicher leidet an Lactoseintoleranz, verträgt also Milchzucker nicht beschwerdefrei. Zöliakie ist weniger stark verbreitet: Rund ein Prozent der Bevölkerung verträgt Gluten nicht, Tendenz steigend. Schon geringe Spuren an Gluten - enthalten in Weizen, Roggen und Gerste - können Beschwerden auslösen. "Die Betroffenen müssen lebenslang eine strikte glutenfreie Ernährung einhalten. Es reicht nicht, die Panier vom Schnitzel herunterzukratzen, weil das Fleisch mit Gluten von dem Mehl kontaminiert ist", sagt Hertha Deutsch von der Arbeitsgemeinschaft für Zöliakie.
Der Hinweis "glutenfrei" oder "lactosefrei" ist für Betroffene enorm wichtig. "Für Konsumenten ist oft nicht leicht zu durchschauen, was in einem Lebensmittel drinnen ist", sagt Pall.
Garantiert ohne Gluten sind Nahrungsmittel mit dem internationalen Glutenfrei-Symbol, einer durchgestrichenen Ähre. Glutenfreie Lebensmittel bieten unter anderem Resch & Frisch, Schär und Verival an. Von der "free from"-Linie der Handelskette Spar enthalten einige der rund 50 Produkte kein Gluten - von Nudeln über Müsli bis zur Backmischung.
Wann ein Produkt als "lactosefrei" bezeichnet werden darf, ist in Österreich nicht gesetzlich geregelt. Meist werden weniger als 0,1 Gramm Lactose pro 100 Gramm oder 100 Milliliter angenommen. Betroffene sollten ihre individuelle Toleranzgrenze für Milchzucker kennen. Mittlerweile werden aber auch Emmentaler oder Sojadrinks, die von Natur aus laktosefrei sind, mit dem Etikett "lactosefrei" versehen, heißt es von der AK Steiermark. "Bei Lebensmitteln wie Öl, die nie mit Milch oder Gluten in Berührung kommen, ist die Kennzeichnung überflüssig", so Beck.
Die Arbeitsgemeinschaft für Zöliakie gibt ein Handbuch glutenfreier Lebensmittel heraus. Website: www.zoeliakie.or.at
Intoleranz oder Allergie?
Bei Lebensmittelintoleranz kann der Körper ein Nahrungsmittel oder einen Bestandteil nicht richtig verdauen. Die beiden häufigsten Ursachen sind Lactose und Gluten. Menschen mit Lactoseintoleranz fehlt das Verdauungsenzym Lactase, das den Milchzucker aufspaltet.
Die Glutenintoleranz (Zöliakie) ist eine lebenslange Darmstörung. Der Körper verträgt Gluten, eine Eiweißkette, die in Weizen, Roggen und Gerste vorkommt, nicht. Wer sich nicht an die glutenfreie Ernährung hält, riskiert schwerwiegende Folgeerkrankungen. Zur Diagnose werden ein IgA-tTG oder EMA-IgA-Bluttest und eine Dünndarmbiopsie gemacht.
Bei der Lebensmittelallergie setzt ein Allergen im Immunsystem eine Kettenreaktion in Gang. Antikörper werden gebildet, die Symptome wie Juckreiz, rinnende Nase, Husten und allergisches Asthma auslösen. Zöliakie ist die einzige Intoleranz, bei der auch das Immunsystem betroffen ist.