Täglich erfahren wir, wie wir gesünder leben können. Das ist gut. Aber immer schwingt in diesen Berichten mit, dass, wenn Krankheiten verhindert werden, ewiges Leben winkt. Das ist Blödsinn.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Herr M. las unlängst, dass die Untersuchung eines im Blut zirkulierenden Antikörpers gegen bestimmte Proteine, die in der Prostata zu finden sind (PSA-Test), die Überlebenswahrscheinlichkeit um 20 Prozent hebt. Herr M. ist Raucher, übergewichtig und 62 Jahre alt. Er geht nächstes Jahr in Pension, und wenn ein einfacher Test, der noch dazu gratis ist, seinen Tod gleich um ein fünftel verhindern kann, dann ist das super. Außerdem weiß er ja, dass Prostatakrebs ein sehr häufiger Krebs ist. Irgendwo hat er gelesen, dass jeder sechste Mann daran erkrankt. Das zu verhindern ist sicher keine schlechte Idee.
Er lässt den Test machen. Was er aber nicht weiß ist, dass er das Gelesene kaum richtig verstanden hat. Denn ein PSA-Test verlängert nicht das Leben. Ganz und gar nicht. Die Überlebenswahrscheinlichkeit wird nicht um 20 Prozent erhöht, was passiert, ist, dass die Wahrscheinlichkeit an Prostatakrebs zu sterben um 20 Prozent sinkt. Auch wenn das ganz toll klingt, ist das für ihn vermutlich nicht relevant. Denn, von den 35.156 männlichen Einwohnern die 2008 gestorben sind, sind gerade einmal 1187 (3,4 Prozent) an Prostata-Krebs gestorben. Hätten alle einen PSA-Test durchführen lassen, wären vielleicht von den 35.156 Verstorbenen statt 1187 nur 1000 an Prostata-Krebs gestorben.
Das heißt aber nicht, dass die andere 187 Männer länger gelebt hätten. Denn die Studien zur Gesamtüberlebenszeit zeigen zwischen denen, die sich testen lassen, und denen, die das nicht tun, keinen Unterschied. Und um es klar auszudrücken, für etwa 34.000 Männer wäre es jedenfalls unerheblich gewesen, ob sie den Test machen hätten lassen oder nicht.
Am Ende ist der Tod durch Prostata-Krebs unbedeutend - auch wenn es für den Einzeln, der daran stirbt, sicher ein Drama ist. Sich generell vor ihm zu fürchten ist neurotisch. Und Herr M. wird wahrscheinlicher an den Folgen seines Lebenswandels (Übergewicht und Rauchen) sterben, als an seiner Prostata. Der Test wird sein Leben nicht verlängern, wenigstens nicht nachweislich. Die Angst vor dem Krebs wird aber mit jedem Test (man macht ihn ja regelmäßig) steigen und wenn das Ergebnis keinen Krebs nachweist, ihn in einer nicht realen Sicherheit wiegen.
Die Streitigkeiten, ob dieser Test nun sinnvoll ist oder nicht, sind end- und grenzenlos. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass es mittlerweile tief in unserem Denken enthalten ist, dass und ewiges Leben winkt, wenn wir nur alle Krankheiten heilen. Ich will jetzt nicht zynisch klingen, aber trotz aller medizinischer Kunst hat noch niemand überlebt.
Natürlich ist es leicht, hier zu sagen: "Fürchtet euch nicht, egal was euch gesagt wird." Aber es ist so. Jeden Tag erzählen uns Akteure des Gesundheitssystems, wie krank wir sind und wie wir Heilung erwarten können. Und wir glauben es nur allzu gerne.
Es wird aber Zeit zu erkennen, dass wir jedenfalls sterben müssen. Verhindern wir den Herzinfarkt, wird uns der Krebs töten, verhindern wird den auch, dann wird an seine Stelle vielleicht dementielles Siechtum treten. Wie immer wir es drehen, wir sind sterblich. Ein Gesundheitssystem sollte uns helfen, so lange wie möglich gesund zu leben, aber Andeutungen, uns ewig auf Erden wandeln zu lassen, sind absurd. Daher sollten solche Versprechen auch offiziell untersagt werden.
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist
unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist