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Ohne Lizenz zum Lokfahren unterwegs

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

Die Liberalisierung der Bahn wurde von der falschen Seite begonnen, kritisiert die Europäische Transportarbeiter Föderation (ETF). Denn seit 15. März können auch private Bahnbetreiber die öffentlichen Netze grenzüberschreitend benutzen, eine einheitliche Ausbildung der Fahrer gibt es aber nicht. Auch die Arbeits- und Ruhezeiten sind nicht einheitlich geregelt. Die ETF fordert nun von der EU-Kommission, dass solche Standards europaweit verbindlich vorgeschrieben werden.


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In Deutschland transportiert ein kleineres Bahnunternehmen Gefahrengüter, hochexplosive Produkte der Petrochemie, mit Loks und Waggons, die in Rumänien gekauft wurden. Als Lokführer sind zwei Rumänen im Einsatz. Dies berichtet Norbert Hansen, Vorsitzender der deutschen Eisenbahnergewerkschaft TRANSNET. Er fürchtet, dass die rumänischen Kollegen weder Arbeits- noch Ruhezeiten, die laut Tarifvertrag der Deutschen Bahn gelten, einhalten. "Wir müssen eine Trucker-Unkultur auf der Schiene verhindern. Sonst wird es gefährlich." Hansen sieht ähnliche Verhältnisse wie beim Frächter-Skandal auf die Bahn hereinbrechen, sollte die EU nicht bald tätig werden und einheitliche Ausbildungs- und Arbeitsnormen festlegen.

"Es darf nicht sein, dass Lokführer auf der Lok schlafen, tagelang unterwegs sein müssen und dafür nicht einmal eine Lizenz brauchen." Für äußerst problematisch hält Hansen auch, dass die Lokfahrer seit der "Schienennetzöffnung" über keinerlei Streckenkenntnis verfügen müssen. Solche Erfordernisse waren bei den nationalen Staatsbahnen bisher Mindeststandard. Doch durch den Wettbewerbsdruck versuchten "Bahn-Raubritter im lukrativen Güterverkehr mit billigem Personal" abzukassieren. "Die Newcomer sind nicht gezwungen, sich an den Standards der großen Bahnen zu orientieren." Mittlerweile haben sich am Markt sogar Personalleasingfirmen etabliert, die Lokführer vermieten.

Die Transportarbeiter-Gewerkschaft bezeichnet die Möglichkeit solcher Missstände als "Liberalisierungsfehler der EU" und möchte ihn korrigieren. Gemeinsam mit den Europäischen Bahnunternehmen finden soeben Verhandlungen über die Einführung eines EU-weiten Lokführerscheins statt. Dieser soll in Ergänzung zu den ebenfalls geforderten nationalen Führerscheinen geschaffen werden und die jeweils benötigten Streckenberechtigungen beinhalten. Obendrein muss es eine Kontrolle der Lizenzen sowie der Arbeitsbedingungen geben.

Bis Herbst haben die Verhandler Zeit, ein verbindliches Mindeststandardpaket vorzulegen, dieses muss dann von der Kommission in eine EU-Richtlinie umgewandelt werden. Sollten die Verhandlungen scheitern, kann die EU selbst die Regeln vorgeben, oder es herrscht dann gar ein rechtsfreier Raum.

Schwierigster Verhandlungspunkt ist die Dauer des Einsatzes im internationalen Verkehr. Die ETF will dem "unkontrollieren Nomadentum" Einhalt gebieten und fordert, dass das Personal nach maximal einer Ruhezeit im Ausland wieder zu Hause ist. Die Arbeitgeber wehren sich gegen einen solchen Schutz. Täglich sind in Europa rund 200.000 Züge unterwegs und ihre Zahl nimmt zu. Wenn auch die großen Bahnen künftig beim Personal sparen, dann gehe das zu Lasten der Sicherheit, warnt Hansen.