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Ohne Mutter kein Erfolg

Von Eva Stanzl

Wissen
Junges Muriqui-Weibchen: Im Unterschied zu den Männchen wechseln sie die Gruppe.

Affenmütter helfen Söhnen bei der Wahl der richtigen Partnerin zur rechten Zeit.


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Wien. Selbst in ihrer Heimat Brasilien sind die Muriqui-Affen kaum bekannt. Aufgrund von intensiver Abholzung ist den kaffeebraunen Primaten mit den schwarzen Gesichtern nur wenig Lebensraum geblieben, rund 1000 Exemplare sollen noch im Atlantischen Regenwald leben. In einem kleinen Reservoir im Maortatal in diesem Gebiet hat die US-Anthropologin Karen Strier entdeckt, dass es sich bei ihnen um recht besondere Affen handelt.

Anders als bei den meisten Primaten haben alle Muriqui-Männchen die gleichen Rechte. Sie leben ohne Anführer in friedlichen Gemeinschaften, ihr Fortpflanzungserfolg ist unabhängig vom sozialen Status. Streit um Nahrung oder Weibchen gibt es nicht. Zu den Weibchen ihrer Gruppe verhalten sie sich sogar wie Kavaliere und überlassen ihnen die saftigsten Früchte des Futterbaums. Das noble Benehmen hat handfeste biologische Wurzeln, berichtet Strier nun in den "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Hilfreiche Einmischung

Während die meisten Männer der Spezies Mensch es wohl als übergriffig empfinden würden, wenn sich deren Mutter aktiv in die Partnerwahl einmischte, ist eine solche "Einmischung" für Muriqui-Männchen ausschlaggebend dafür, dass sie biologisch passende Partnerinnen finden, um gesunde Nachkommen zu zeugen.

Strier und ihr Team haben Verhaltensstudien an 300 Affen über einen Zeitraum von 30 Jahren mit genetischen Untersuchungen am Kot von 67 Muriqui-Babys, -Mutter- und -Vatertieren verglichen. Die Wissenschafter wollten unter anderem Erkenntnisse zu biologischen Mechanismen der Artenerhaltung gewinnen. "Zu unserer Überraschung haben wir dabei aber auch einen Beleg für die Großmutter-Hypothese in der Tierwelt gefunden", so Strier.

Die Großmutter-Hypothese versucht zu erklären, warum sich in der Evolution bei Frauen die Menopause entwickelt hat. Zugleich versucht sie das Rätsel zu lösen, weshalb Frauen nach der altersbedingten Unfruchtbarkeit noch viele Jahre leben können. Immerhin ist das bei den meisten anderen Säugetieren, unter anderem bei Menschenaffen, nicht der Fall. Der Theorie zufolge ermöglichen die zusätzlichen Lebensjahre Menschenfrauen, bei der Gruppenaufzucht der Kinder zu helfen.

"Aus den Verhaltensstudien wussten wir, dass Muriqui-Mütter, die über 30 Jahre alt werden können, ihr Leben lang bei ihren Söhnen bleiben", so die Anthropologin: "Was wir jedoch nicht wussten, ist, dass sich aus diesem Zusammenleben Vorteile für die Fortpflanzung ergeben." Den genetischen Daten zufolge haben 13 Männchen 22 gesunde Junge gezeugt. Das erfolgreichste Vatertier zeugte 18 Prozent der Nachkommen, was weniger ist als in hierarchisch organisierten Gruppen, in denen die Männchen mit höchstem sozialen Status die meisten Weibchen bekommen. "Bei Muriqui-Affen hat kein Männchen eine Monopolstellung bei der Fortpflanzung. Alle stellen sich geduldig an, wenn die Weibchen den Eisprung haben", so Strier. Auch verbringen die Männchen ihr ganzes Leben in der Gruppe, in die sie hineingeboren wurden - während die Weibchen im Alter von sechs bis sieben Jahren die Gruppe wechseln.

Faszinierend sei, dass kein Junges das Resultat einer inzestuösen Paarung sei, obwohl die 300 untersuchten Affen isoliert von anderen Muriqui leben. Die Forscherin schlussfolgert, dass die Paarung keineswegs zufällig erfolgt, weil die Mütter das verhindern: "Es muss einen Mechanismus geben, mit dem die Weibchen Blutsverwandte erkennen und mit dem sie die Auswahl treffen für ihre Söhne." Zudem zeuge der Einfluss der Mütter auf die männliche Fortpflanzung vom Stellenwert der Gruppenaufzucht, die anderen Theorien zufolge beim Menschen ausschlaggebend war für die Ausbildung des Altruismus.