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Ohne Nikotin droht das Übergewicht

Von Frank Ufen

Wissen
Wird er aufhören wollen, wenn er dann noch dicker wird?
© ERproductions Ltd/Blend Images/Corbis

Wer mit dem Rauchen aufhört, nimmt im Durchschnitt um sieben Kilogramm zu.


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Hamburg. Es ist eine große Gemeinheit. Da hat man es mit fast übermenschlicher Kraft endlich geschafft, vom Glimmstängel loszukommen - und prompt wird man von Tag zu Tag dicker. Etwa 80 Prozent derjenigen, die sich das Rauchen eben erst abgewöhnt haben, haben das Pech, danach in kurzer Zeit ziemlich viel Speck anzusetzen. Im Durchschnitt sind es immerhin sieben Kilogramm, wobei es übrigens Frauen noch schlimmer ergeht als Männern. Worauf diese Gewichtszunahme zurückzuführen ist, ist nach wie vor nicht völlig geklärt.

Oft wird behauptet, dass man schlicht deshalb zunimmt, weil man, statt wie früher zur Zigarette, jetzt ständig zu Snacks und Süßigkeiten greift. Weiters gibt es die Hypothese, man würde mehr essen, sobald man sich das Rauchen abgewöhnt hat, weil sich dann die lädierten Riech- und Geschmackszellen regenerieren könnten. Und je besser diese Zellen funktionieren würden, desto intensiver würden dann die Gaumenfreuden. Außerdem wird oft das Argument vorgebracht, dass Nikotin ein starker Appetitzügler sei. Sobald es wegfallen würde, würde sich also das Hungergefühl wieder einstellen, das durch den ständigen Tabakkonsum betäubt gewesen sei.

Und schließlich gibt es noch die Vermutung, dass das Nikotin wieder und wieder die Ausschüttung von Glückshormonen auslösen und dadurch den Körper regelrecht süchtig nach ihnen machen würde. Also wäre er nach dem Entzug des Nikotins begierig auf alles, was ebenfalls solche Hormone freisetzen würde - wie beispielsweise Kalorienbomben.

Alle diese Auffassungen sind nicht ganz falsch. Doch für einen Umstand haben sie keine Erklärung. Mittlerweile hat sich nämlich herausgestellt, dass die meisten derjenigen, die mit dem Rauchen aufgehört haben, selbst dann mehr Pfunde auf die Waage bringen, wenn sie sich genauso viele oder sogar weniger Kalorien einverleiben als vorher.

Höherer Energieverbrauch

Doch es gibt noch eine andere Erklärung. Demnach wird der Stoffwechsel durch das Rauchen angekurbelt, durch die fehlende Nikotinzufuhr hingegen gedrosselt. "Raucher haben nämlich einen höheren Energieverbrauch als Nichtraucher", sagt die Ernährungswissenschafterin Ursel Wahrburg (Fachhochschule Münster). "Sie verbrennen am Tag 200 bis 250 Kalorien mehr - auch bei völliger Körperruhe. Das sogenannte sympathische Nervensystem , das auch für die Produktion des Stresshormons Adrenalin verantwortlich ist, scheint bei Rauchern intensiver zu arbeiten. Außerdem brauchen sie vermutlich mehr Energie für die Verdauung und die Aufnahme der Nährstoffe."

Gerade erst haben der Mediziner Gerhard Rogler und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie des Universitätsspitals Zürich die Forschung einen großen Schritt vorangebracht. Sie haben herausgefunden, dass der Nikotinentzug erhebliche Auswirkungen auf die Darmflora hat: Bestimmte Bakterienstämme vermehren sich stark, wohingegen andere im selben Maße verkümmern. Die Wissenschafter berichteten über ihre Forschungsergebnisse kürzlich im Fachjournal "PloS ONE". Rogler und sein Team haben neun Wochen lang Stuhlproben analysiert, die von fünf Nichtrauchern, fünf Rauchern und zehn Personen stammten, die eine Woche vor Beginn der Studie mit dem Rauchen Schluss gemacht hatten.

Die Analysen haben schließlich einen wesentlichen Unterschied zu Tage gefördert. Die Darmflora der Nichtraucher und der Raucher veränderte sich innerhalb der neun Wochen überhaupt nicht. Doch in den Därmen der Versuchspersonen, die sich das Rauchen gerade erst abgewöhnt hatten, passierte Umwälzendes. Mikroben der Stämme Proteobacteria und Bacteroidetes verbreiteten sich sprunghaft und verdrängten immer mehr Mikroben der Stämme Firmicutes und Actinobacteria. Das bedeutet, dass bei den Ex-Rauchern solche Bakterien überhand nehmen, die auch bei Fettleibigen die Darmflora massenhaft bevölkern. Diese Mikroben sind offenbar imstande, Nahrungsmittel besonders gründlich und effizient zu verwerten. "Diese Bakterien können die Nahrung besser verdauen und führen dem Körper mehr Kalorien zu, was sich dann in Fettpolstern bemerkbar macht", sagt Rogler.

Medizin hofft auf Lösung

Noch ist nicht geklärt, wie lange diese Veränderungen in der Darmflora anhalten und ob sie rückgängig gemacht werden können. Doch Rogler hofft, dass die Medizin in absehbarer Zeit dazu verhelfen kann, das Rauchen aufzugeben, ohne allzu viel Gewicht zuzulegen. "Ich gehe davon aus, dass es uns langfristig gelingen kann, die Darmflora günstig zu beeinflussen, um die Gewichtszunahme zu beschränken. Allerdings glaube ich nicht, dass ein derartiges Probiotikum kurzfristig zur Verfügung stehen wird. Dafür sind die Vorgänge in der Darmflora viel zu komplex."

Was kann man tun, wenn man mit dem Qualmen aufhören, aber nicht zunehmen will? Die Ernährungsexpertin Ursel Wahrburg hat ein einfaches und bewährtes Rezept. "Sachen essen, von denen man viel essen darf, also Obst und Gemüse. Sie sorgen für einen gut gefüllten Magen. Denn die Magendehnung ist unser wichtigstes Sättigungsmerkmal. Deshalb hilft auch Wasser trinken. Man hat ja etwas im Mund und später auch im Bauch, das mindert das Hungergefühl."