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Ohne Not am Hungertod

Von Christa Karas

Wissen

Alte Menschen, chronisch Leidende und Schwerkranke besonders betroffen: | Auch in Österreich leiden viele unter bedenklichen Mängeln ihrer Ernährung. | Wien. Übergewicht, Fettsucht, Adipositas und deren Folgen machen längst nicht mehr nur in den klassischen Industrieländern ein Gros der Berichte über Gesundheitsprobleme aus - doch im Gegensatz dazu steht die wenig beachtete Unter-, Fehl- und Mangelernährung von Teilen der Bevölkerung. In einer laufenden Studie wird derzeit erhoben, wie es in den Spitälern um die Ernährungssituation der Patienten steht. Doch das Problem ist bedeutend weitreichender.


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Zum einen ist es ein Faktum, dass der schlechte Ernährungszustand vor allem vieler älterer Menschen überhaupt erst auffällt, wenn sie auf Grund einer akuten Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Beispiele dafür sind etwa die Seniorin, die vom Kipferl im Kaffee bzw. der Semmel in der Milch lebt, weil ihr Gebiss nicht dazu taugt, feste Nahrung zu kauen, sowie der Senior, der auf Grund einer Demenz nur noch selten Hunger und Durst verspürt.

Bewusstseinsfrage

Problematisch wird es freilich dann, wenn auch im Spital niemand versteht, warum die Patienten ihr Essen nicht anrühren und sich weiters niemand darum kümmert. Das gilt natürlich auch für Seniorenheime und Einrichtungen mit Palliativfunktion. Schätzungen zufolge sind etwa in Deutschland 20 bis 60 Prozent der diesbezüglich Betroffenen in Spitälern und solchen Einrichtungen fehlernährt, wobei die Definition "Mangelernährung" allerdings auch vom Bewusstsein des jeweiligen medizinischen Teams abhängt. Das gilt natürlich, wenn auch in etwas geringerem Umfang, für Kinder und Jugendliche vor dem Hintergrund sozialer Probleme sowie mit psychisch-psychiatrischen und körperlichen Erkrankungen (wie etwa Mukoviszidose und Asthma). Univ.-Prof. Berthold Koletzko, Pädiater am Uni-Klinikum München: "Unter den bei uns stationär behandelten Jugendlichen sind bei der Aufnahme 24 Prozent untergewichtig. Besonders groß ist dabei der Anteil behinderter Kinder." Und er verweist auf die potenziellen Folgen wie Be-einträchtigung des Wachstums von Körper, Gehirn und Muskelentwicklung sowie die Infektionsanfälligkeit, verbunden mit einer höheren Sterblichkeit.

Insgesamt gehen Experten heute davon aus, dass in Ländern wie Deutschland und Österreich rund 2,3 Prozent der Bevölkerung, basierend auf einem Body Mass Index (BMI) von 18,5, unterernährt sind - vielfach ohne (materielle) Not, sondern auf Grund von zum Teil chronischen Leiden wie u. v. a. Anorexien und anderen Essstörungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Diabetes, Colitis ulcerosa und weiteren sogenannten unspezifischen Darmerkrankungen (Reizdarm), die dringend der Substitution bedürfen.

Krebspatienten

Besonders groß ist schließlich die Patientengruppe mit Krebs. Jährlich erkranken 34.000 Menschen bei uns neu daran, derzeit stehen rund 120.000 wegen eines akuten Krebsgeschehens in Behandlung. Vielfach ist es die Erkrankung selbst - wie u. a. bei Mundhöhlen-, Magen- und Darmtumoren -, welche die Nahrungsaufnahme und -umsetzung erschwert oder gefährlich reduziert, in anderen Fällen knüpft dies an die Therapie, wenn diese - was zum Glück dank neuer Medikamente und Antiemetika seltener geworden ist - zu Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen führt. "Kranke brauchen ja eh nicht so viel zu essen." - Auffassungen wie diese zählen zu den bedenklichsten Irrtümern im Zusammenhang mit der Ernährungsproblematik von Kranken, von denen viele sogar ein Mehr an Nahrung benötigen, wenn auch in anderer Zusammensetzung. Mangelernährung bedingt in solchen Fällen einen längeren Krankheitsverlauf, damit längere Spitalsaufenthalte sowie ein mehrfach erhöhtes Mortalitätsrisiko etwa durch sogenannte korrespondierende Erkrankungen und Infektionen, da sie die ohnehin geschwächte Immunabwehr noch weiter herabsetzt.

Dem wollen Expertinnen wie Andrea Hofbauer, Vorsitzende des Verbands der Diaetologen Österreichs, und Elisabeth Hütterer, Leiterin des Arbeitskreises Onkologie und Ernährung des Verbandes und Autorin eines neuen Buchs zum Thema, im Fall von Krebs gegensteuern. Anlässlich des am Donnerstag und Freitag in Wien stattfindenden Kongresses "Onkologie und Diätetik - Nahrung als Therapie?" fordern sie, dass eine fachlich fundierte Ernährungstherapie, von qualifizierten Diaetologen stationär und ambulant durchgeführt, integraler Bestandteil jedes Behandlungskonzeptes onkologischer Patienten sein sollte.

Zwangsernährung?

Doch was tun mit behinderten Kindern, Demenzkranken, Multimoribunden mit Schluckstörungen? Müssen diese zwangsweise künstlich ernährt werden (was Betrachtern dieser Methode in der Vergangenheit kalte Schauer über den Rücken jagte)? - Zu dieser rec htlich-ethischen Problematik darf weitestgehend Entwarnung gegeben werden. Gleich mehrere Konzerne erzeugen heute vorgefertigte Nahrung aus Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fettsubstanzen, die jeweils nach Bedarf in der Apotheke um Vitamine und Spurenelemente ergänzt wird und auch die wichtige Flüssigkeit enthält. Diese kann leicht (auch von den Betroffenen selbst) zugeführt werden, notfalls auch mit einer PEG-Sonde via Endoskop direkt durch die Bauchwand in den Magen.

Elisabeth Hütterer: "Diagnose Krebs - Das große Ernährungsbuch". Hubert Krenn Verlag, 204 Seiten, 19,90 Euro.