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Ohne Organisation keine Partei

Von Brigitte Pechar

Politik

Kleine Parteien erleichtern politische Teilhabe, weil das Angebot größer ist.


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"Wiener Zeitung": In Europa formieren sich derzeit zahlreiche Spaß- und Protestparteien. Manche davon wie etwa die Piraten erzielen auf Anhieb Erfolge. Ist das ein Zeichen der Zeit und warum können manche dieser Gruppierungen sogar Wahlerfolge einfahren?Gilg U.H. Seeber: Es ist durchaus nicht außergewöhnlich, dass es neben den etablierten Parteien kleinere Parteien gibt - das haben wir auch in Österreich. Es lässt sich sagen, dass je weiter wir in den Vertretungsebenen nach unten gehen, desto mehr Listen gibt es. Dass einige von diesen Kleinparteien Wahlerfolge erzielen, hat mit Themen zu tun, die aus der Sicht von Teilen der Bevölkerung nicht ausreichend abgedeckt werden oder mit Positionen, die von eingeführten Parteien nicht vertreten werden. Zum Beispiel beschäftigt sich die formelle Politik zwar mit dem Internet, allerdings eher in restringierender und kontrollierender Form, während die andere Seite die positiven Aspekte dieses Mediums - die Freiheit im World Wide Web - sieht. Die Vernetzung, verknüpft mit Kritik an etablierten Parteien, bringt den Piraten Erfolge.

Lässt sich sagen, dass diese Kleinparteien ihre Legitimation eher aus der Art, wie etablierte Parteien Politik ausüben, beziehen, oder entstehen sie, weil sie mit den politischen Inhalten nichts mehr anfangen können?

Viele Menschen betrachten politische Repräsentation als mit Defiziten behaftet. Aber es geht den neuen politischen Gruppierungen um beides, um Inhalte und Mechanismen.

Dennoch entsteht der Eindruck, dass etwa die Piraten für sich noch nicht definiert haben, was sie wollen - die Forderungen wirken willkürlich.

Es eint sie, dass sie die Freiheiten des Internets nützen wollen. Tatsächlich ist das ideologische Spektrum, das die Piraten in Deutschland abdecken, sehr breit und geht in den rechten Rand hinein.

Die neuen Technologien bieten sehr viele Möglichkeiten der Teilhabe. Die Information ist sehr rasch vorhanden, die Reaktion darauf lässt sich ad hoc organisieren - als Beispiel seien etwa Flash-Mobs erwähnt. Aber können diese Initiativen eine politische Kraft werden?

Dazu braucht es Organisation. Die Gruppen müssen - wollen sie längerfristig wirken - ihre Interessen bündeln können. All diese spontanen Aktionen können relevant im Diskurs sein. Aber, um eine politische Kraft zu werden, braucht es mehr.

Sind diese neuen Parteien gekommen, um zu bleiben?

Darüber kann man nur spekulieren und das ist vor allem von der neuen Partei selbst, aber auch vom politischen Mitbewerber abhängig. Man kann heute nicht beantworten, wie die politische Landschaft durch aktuelle Protestparteien beeinflusst wird.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen Protest- und Spaßparteien?

Ich sehe da vor allem die Dimension jener, die angesprochen werden sollen. In Italien verzeichnete zuletzt etwa die "Fünf-Sterne-Bewegung" des Komikers Beppe Grillo bei den Kommunalwahlen unerwartete Erfolge. Allerdings blieben ihr diese bei Parlamentswahlen versagt. Spaßparteien reüssieren eher auf lokaler Ebene - in Österreich in größerer Zahl bei den Hochschülerschaftswahlen.

Gilg U. H. Seeber ist ao. Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Er studierte Mathematik an den Universitäten Innsbruck und Linz; post-graduales Studium am Institut für höhere Studien in Wien. Forschungs- und Lehrtätigkeit unter anderem an den Universitäten München, Wien, Florida, Harvard und Minnesota.Forschungsschwerpunkte: Wahlen, öffentliche Meinung.
© uibk

Kann man den Boom von Kleinparteien in einen historischen Zusammenhang stellen?

Dass sich neue Parteien bilden, ist kein neues Phänomen. In Österreich waren das die Grünen, die in den 80er Jahren - aus einem sehr heterogenen Haufen - entstanden sind. Es ändern sich die Konfliktlinien: Manche gewinnen an Bedeutung, andere verlieren. Um die Jahrhundertwende und bis nach dem Zweiten Weltkrieg war es die Klassenfrage, an der sich die politischen Lager geschieden haben. Heute gewinnen Fragen der Demokratie und der Umwelt an Bedeutung. Das hängt damit zusammen, dass unsere Gesellschaft reicher und gebildeter geworden ist. Man könnte also sagen, dass das Erstarken der Grünen durch die veränderte Gesellschaft erklärbar ist.

Was führt zur Gründung von Parteien? Ist es das ökonomische Umfeld, die Krise, die Menschen aus Verzweiflung nach anderen Parteien suchen lässt?Oder ist es die Unzufriedenheit mit den Lösungsansätzen oder der Wirkungsweise der etablierten Parteien?

Man könnte sagen, beides. Es gibt zwei Theorien. Die eine sagt, dass eine Gesellschaft, die über mehr Ressourcen - Zeit, Bildung, Geld - verfügt, politisch aktiver wird. Die andere Theorie geht davon aus, dass sich die Menschen umso stärker einmischen, je unzufriedener sie werden. Die empirische Evidenz deutet hin, dass die Ressourcenthese eher zutrifft. Klar ist aber auch, dass mit steigender ökonomischer Ungleichheit soziale Spannungen größer werden, die sich in mehr oder weniger starken Protesten äußern. Inwiefern Parteien das auffangen können, werden wir sehen. Ein Beispiel ist die griechische Gesellschaft, die ein großes Maß an Deprivation erfährt.

Eine Vielzahl an Kleinparteien führt dazu, dass sich diese zu Wahlbündnissen zusammenschließen, um Erfolg zu generieren. In Griechenland haben sich etwa radikale linke Gruppierungen zur Syriza formiert, die schließlich bei den Wahlen am vergangenen Sonntag zweitstärkste Kraft wurde. Abgesehen von den schwierigen Koalitionsverhandlungen in Griechenland: Tragen Listenbündnisse in Parlamenten zur Destabilisierung von Regierungen und damit des Landes bei? Italien, das schon seit Jahrzehnten Bündnisse im Parlament hat, ist ein Beispiel für häufige Neuwahlen.Listenbündnisse haben weniger Bindungskraft als Parteien. Es sind weniger stabile Gebilde - schon alleine von ihrer Konstruktion her. Was Italien betrifft, muss man sagen, dass die vergangene Legislaturperiode eine der längsten war, obwohl auch das Lager von Silvio Berlusconi ein Bündnis war. Und auch in Frankreich haben kleine Parteien, die im zweiten Wahlgang Bündnisse eingehen, Tradition. Skandinavien hat ebenfalls eine Vielzahl an Parteien, wobei dort aber die politische Kultur Minderheitsregierungen zulässt.

Muss nicht jede Debatte über Kleinparteien und Destabilisierung der Parlamente in einer Infragestellung des Verhältniswahlrechts münden?Wäre ein Mehrheitswahlrecht der richtige Weg?

Argumente für ein Mehrheitswahlrecht basieren auf Effizienz- und weniger auf Repräsentationskriterien. Ein Mehrheitswahlrecht könnte die Menschen der Politik noch weiter entfremden. Schließlich werden in einem solchen System immer spezifische Interessen in der Regierung umgesetzt - andere nicht. Die für das Verhältniswahlrecht typischen Koalitionsregierungen müssen mehr auf Interessenausgleich achten.