In den beiden wichtigsten Überlebensfragen Europas werden die fundamentalen Probleme nicht gelöst, sondern bloß vertagt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wenn irgendwann in fernerer Zukunft eine "Geschichte Europas im beginnenden 21. Jahrhundert" geschrieben wird, dann werden mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Erzählungen im Mittelpunkt stehen: eine über Gründung, Krise und darauffolgenden Überlebenskampf des Euro samt den Folgen für Europas Volkswirtschaften; und eine über die große Völkerwanderung aus der krisengeplagten arabisch-muslimischen Welt und Teilen Afrikas gen Norden. Diese beiden Herausforderungen werden existenziell für die Zukunft Europas sein.
Ob es in 20, 30 Jahren noch eine wohlhabende, friedliche und lebenswerte Gegend sein wird oder nicht, hängt in sehr hohem Maße davon ab, ob die nationalen Regierungen (und die EU da, wo sie zuständig ist) in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen treffen.
Evaluiert man die bisherigen Entscheidungen (und vor allem auch die Nicht-Entscheidungen) der Regierungen in diesen zwei so geschichtsmächtigen Erzählungen, könnte einem allerdings ziemlich mulmig werden. Denn sowohl in der Krisenpolitik rund um die Euro-Rettung als auch in der Bewältigung der gewaltigen Zuwanderungswellen zeigt sich das gleiche Muster: Statt das Problem zu lösen, zumindest so gut es halt gerade geht, wird es möglichst in die Zukunft geschoben, egal wie teuer und riskant eine derartige Strategie auch sein mag.
So umgeht Europas Migrationspolitik weitestgehend jene zentralen Fragen, von deren Beantwortung letztlich Europas Zukunftsfähigkeit (mit) abhängen wird: Wie viele Migranten aus sehr unterschiedlichen Kulturen will man aufnehmen? Nach welchen Kriterien sollen sie ausgewählt werden? Und vor allem: Wie kann sichergestellt werden, dass jene nicht nach Europa kommen, die nicht diesen Kriterien entsprechen? Auf die Beantwortung dieser relativ simplen Fragen haben die Bürger berechtigten Anspruch.
Nur kommen keine Antworten. Stattdessen scheinen die Regierenden angesichts der anschwellenden Völkerwanderung heillos überfordert, ohne Plan und Ziel und trotz all ihrer Macht politisch ähnlich hilflos wie die Insassen eines Flüchtlingskutters im Mittelmeer. Die Folgen dieser Hilflosigkeit werden in ein paar Jahren oder spätestens Jahrzehnten ausgesprochen bitter sein. Aber dann sind die heutigen Akteure ja schon in Pension und geben oberschlaue Interviews, welche Fehler ihre Nachfolger machen.
In die Zukunft geschoben werden auch all jene Probleme, die aus dem mangelhaften Konstruktionsplan des Euro, der immer sichtbarer wird, resultieren. Doch statt das Design entschlossen so umzubauen, damit die Mängel verschwinden, werden sie mit allen möglichen Hilfskonstruktionen (Stichwort: Griechenland) zugekleistert. Dass damit die Risiken in die Zukunft verschoben werden, gilt als Kollateralproblem einer derartigen Politik.
Eine wesentliche Ursache dieser Neigung zur Verschleppung dürfte die notorische Angst der politischen Eliten vor harten Entscheidungen von historischer Tragweite sein, die aber Voraussetzung für das Lösen solcher Probleme sein können. Menschlich mag man eine derartige Zögerlichkeit, Unentschlossenheit und Entscheidungsscheu ja ganz nett finden - angesichts von existenziellen Herausforderungen sind sie freilich ein unleistbarer Luxus.