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Ohne Schnitt kein Film

Von Thomas Karny

Reflexionen

Die erfolgreiche Wiener Cutterin Niki Mossböck sieht die Leistungen ihres Berufsstandes nur mangelhaft gewürdigt.


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Wenn Niki Mossböck von ihrer Profession spricht, dann nennt sie diese den "unsichtbaren Beruf". Tatsächlich nimmt der Konsument den Anteil ihrer Arbeit bewusst kaum wahr, dennoch liegt es in einem nicht geringen Ausmaß an ihr, ob er das Endprodukt intuitiv als stimmig empfindet - oder eben nicht. Die 43-jährige Wienerin bringt Filmbilder in den passenden Rhythmus und ist eine der meistgefragten Cutterinnen Österreichs.

Ihr uvre reicht von TV-Produktionen über Kinospielfilme bis zu Filmdokumentationen. So listet ihre Filmographie Folgen des Krimiklassikers "Tatort" auf, ebenso ein Porträt von Michael Haneke, die Verfilmung von Arthur Schnitzlers Novelle "Spiel im Morgengrauen" oder die den seinerzeitigen schwarz-blauen politischen Zeitgeist konterkarierende Kurz-Doku "Null Defizit". "Grundsätzlich sollte einen das Thema schon reizen", meint sie, "welchem Genre das Endergebnis dann zugeordnet wird, ist aber nicht wirklich wichtig."

Die 1969 als älteste von fünf Kindern geborene Tochter einer Grazer Arztfamilie kam mit der Schauspielszene erstmals am "Theater im Keller" in Kontakt, als Assistentin von Regisseur Heinz Hartwig, dem späteren Literaturchef im ORF-Landesstudio Steiermark. Die älteste freie Bühne Mitteleuropas stand (und steht) in exzellentem Ruf, trotz schwieriger finanzieller Gebarung regelmäßig sehenswerte Aufführungen in Balance zwischen kleinem Welttheater und zeitgenössischem Drama auf die Bretter zu bringen. Mossböck studierte damals noch Psychologie, wusste aber bald, dass ihre Interessen in jenem Bereich liegen, wohin sie ihr studentischer Nebenjob geführt hatte.

Wenn sie sich daran erinnert, dass sie gemeinsam mit einem Kollegen während einer Psychologievorlesung wegen eines Lachanfalls aus dem Hörsaal geradezu geflüchtet war, muss sie auch heute noch feixen, wenngleich ihr der Grund für den seinerzeitigen Heiterkeitsanfall nicht mehr erinnerlich ist. Egal, diese Szene wurde zur Zäsur in Mossböcks Ausbildungsverlauf.

Schulung des Blicks

Sie bewarb sich an der Filmakademie Wien und nahm 1993 das Studium für Schnitt und Kamera auf, das sie 2000 abschloss. Auf die Frage, warum sie denn als Studienrichtung den Schnitt gewählt habe, antwortet sie mit entwaffnender Offenheit: "Weil da die Wahrscheinlichkeit, aufgenommen zu werden, wesentlich höher war als etwa in der Klasse Regie." Fügt aber - nach langjähriger Erfahrung ihre Tätigkeit nun selbstbewusst einschätzend - hinzu: "Erst der Schnitt macht die Bilder, die die Kamera liefert, zu dem, was es letztendlich sein soll, nämlich zum Film."

Einen Teil ihres Studiums hatte sie noch am Schneidetisch verbracht. Dort, wo man aufpassen musste, dass die Magnettonspur nach dem Schnitt synchron zum Bild weiterlief. Die Erfahrung war eine gute Schule für den genauen Blick: "Man musste sich viel genauer überlegen, wo man schneidet." Heute sitzt sie vor drei Monitoren und setzt die Bilder digital zusammen. Die Herausforderung ist eine andere geworden: "Ich schaue mir das Material tausendmal an und muss mich jedes Mal in die Stimmung versetzen, als wäre es das erste Mal." Die digitale Technik macht den Schnitt an sich leichter, die Auswahl aber schwieriger: "Du bist andauernd am Entscheiden, das macht den Job sehr anstrengend."

Der Studienfreund, mit dem sie einst lachend aus dem Psychologiehörsaal der Universität Graz geflüchtet war, heißt Gregor Stadlober. Er hatte bald begonnen, für das Radio zu arbeiten und Drehbücher zu schreiben. So auch, gemeinsam mit Marco Antoniazzi, für die 2009 in die Kinos gekommene Komödie "Kleine Fische". Da hatten Mossböck und er zum ersten Mal zusammengearbeitet.

Zum zweiten Mal taten sie es bei dem kommende Woche anlaufenden Dokumentarfilm "Schlagerstar", für den Stadlober/Antoniazzi Regie führten. Über ein Jahr lang begleitete das Team den Volksmusiker Marc Pircher auf seiner Tour durch Bierzelte und Landdiscos, zu TV-Auftritten und auf einen Luxusliner. Die Grundlage für Schallplatten in Gold und Platin, so macht der Film klar, ist zwar neben der stets heiteren Fassade des Protagonisten, der das Publikum in gute Laune und schunkelnde Stimmung versetzt, die beinharte und zuweilen entnervende Arbeit im Studio.

Aber ohne das punktgenaue Management, das abseits der Auftritte die in dieser Branche überlebensnotwendigen Foto- und Interviewtermine organisiert, käme und bliebe das Business nicht richtig in Schwung.

Die wie en passant betriebene Fanpflege macht Pircher zu dem, der er seit zwanzig Jahren ist: "Der Marc", nicht nur Musiker, sondern wiederkehrender Freund. Der Film hat bei der heurigen "Diagonale" den Publikumspreis und damit die Anerkennung erhalten, dass "Schlagerstar" auch beim anspruchsvollen Kinobesucher gut ankommt. Denn dass die eingefleischten Schlagerfans den Film mögen, haben Testscreenings bereits vorab gezeigt. "Die Herausforderung war", so Mossböck, "die klaren Bilder, die die Menschen im Positiven wie im Negativen von Schlagermusik und ihrem Umfeld haben, zu brechen und dennoch nicht das Interesse des Publikums zu verlieren."

Als ihren wichtigsten Film nennt Mossböck "Esmas Geheimnis - Grbavica" (2006), der von der aus Sarajevo gebürtigen Regisseurin Jasmila Žbanić gedreht wurde und den systematischen sexuellen Missbrauch von Zivilistinnen im Bosnienkrieg thematisiert. Wichtig ist ihr der Film nicht so sehr deswegen, weil er auf der Berlinale 2006 mit dem "Goldenen Bären" ausgezeichnet wurde, sondern weil die große Aufmerksamkeit und die Diskussion, die er in der bosnischen Bevölkerung auslöste, direkte Auswirkung auf die Gesetzgebung hatte: "Dieser Film hat bewirkt, dass die im Bosnienkrieg vergewaltigten Frauen als Kriegsopfer anerkannt wurden." Auch der aus der zweiten Zusammenarbeit mit Žbanić entstandene Film "Zwischen uns das Paradies" (2010), der den Einfluss fundamentalistischen muslimischen Glaubens auf die europäische bürgerliche Gesellschaft behandelt, fand große Anerkennung.

Ein ähnlich positives Echo fanden die TV-Dokumentationen "Der junge Herr Bürgermeister" (2003), "Himmelwärts" (2010) und "Die Lust der Frauen" (2011). Sie zeigen den 23-jährigen Carsten Guhr bei seinen Bemühungen, eine sächsische Provinzgemeinde durch das entbehrungsreiche Tal der Finanznot zu führen; das von Bedürfnislosigkeit und starkem Glauben geprägte Leben des 92-jährigen Piaristenpaters Hermann Thaler sowie - im prallen Gegensatz dazu - das sexuelle Begehren von Frauen gehobenen Alters unter dem Aspekt der Überwindung gesellschaftlicher und moralischer Vorurteile.

Gemeinsam mit Sabine Derflinger, die als erste österreichische Frau bei einer "Tatort"-Folge Regie führte, wurde Mossböck für den Klassiker des sonntäglichen TV-Hauptabendprogramms engagiert. Als "ihr" erster Krassnitzer-Fall gezeigt wurde, war ihr plötzlich bewusst geworden, was für ein quantitativer Unterschied zwischen Kino und Fernsehen besteht: "Es ist schon etwas anderes, ob sich in Summe ein paar tausend Leute vor die Leinwand setzen oder ob du an einem einzigen Abend neun Millionen Zuschauer hast!" Was einem Millionenpublikum gerecht werden soll, wird aber auch direktivistischer produziert - und der künstlerischen Freiheit somit weniger Spielraum gelassen.

"Guter Schnitt fällt nicht auf", lautet Mossböcks Credo, "der Film funktioniert, die Figuren haben eine innere Logik, die Spannung bleibt erhalten, emotionale Szenen verdichten sich. Das alles macht die Montage." Durch ihre Entscheidungen, etwa wie lange jemand im Bild bleibt oder wohin jemand vor dem Cut schaut, habe sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss: "Damit kann man auf der Gefühlsebene des Zuschauers einiges bewirken." Mit der Regisseurin auf einer Wellenlänge zu sein, ist für diesen Job eine unabdingbare Voraussetzung: "Es geht um die Balance zwischen der Einfühlung in die Absichten der Regisseurin und dem konstruktiven Einbringen des eigenen Standpunkts."

Schlechte Bezahlung

Mittlerweile sieht sich Mossböck in der Filmbranche gut vernetzt: "Am Anfang ist es, wie wohl überall, zäh. Aber wenn eine Kooperation einmal geklappt hat, dann ist sie meist von Dauer." Breitere Wertschätzung würden sie und ihre Kollegen für ihre Tätigkeit allerdings kaum erfahren. So beklagt Mossböck, seit 2007 Vorstandsmitglied des Österreichischen Verbands für Film- und Videoschnitt, dass die Bezahlung eher schlecht sei: "Der Kollektivlohn einer Cutterin ist niedriger als der eines Tonmanns oder einer Tonfrau am Set."

Auch in der Rezeption findet die Arbeit des Cutters kaum Aufmerksamkeit. Die Leistung eines Schauspielers oder eines Regisseurs ist offensichtlich leichter zu würdigen als der Schnitt eines Films. Sogar sie selbst, gesteht Mossböck, habe gelegentlich Probleme, bei einem fremden Film die Qualität der Montage einzuschätzen: "Sie zu beurteilen ist schwer, wenn man das Filmmaterial, aus dem die Cutterin wählen konnte, in der Gesamtheit nicht kennt." Interessant wäre, ein und dasselbe Material von verschiedenen Cuttern bearbeiten zu lassen: "Da kämen völlig unterschiedliche Filme heraus."

In nächster Zukunft wird Mossböck an einem Porträt über Ilse Aichinger arbeiten sowie an einer Dokumentation über chinesische Migranten in Wien. Zurzeit pendelt sie noch zwischen zwei "Tatorten": In Berlin will eine Borowski-, in Wien eine Eisner-Folge geschnitten werden. Beide kommen im September ins Fernsehen.

Thomas Karny, geb. 1964, ist Sozialpädagoge, Autor und Journalist. Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt in Graz.