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"Ohne Schulden keine Arbeit"

Von Bernd Vasari

Politik
"Wenn alle sparen, dann wird Wirtschaft nicht mehr funktionieren", so Flassbeck (l.)
© David Bohmann/PID

SPÖ fordert: Bildung, Forschung und Entwicklung raus aus Maastricht.


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Wien. Der EU-Wahlkampf ist eröffnet. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" fordert Vizebürgermeisterin und Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ), dass "nachhaltige Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung" nicht mehr Maastricht relevant sein sollen. Der Ökonom und ehemalige Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf, Heiner Flassbeck, setzt sich im Gespräch für ein besseres Image von Schulden ein.

"Wiener Zeitung": Aufgrund des Wachstums von 25.000 Menschen pro Jahr werden in Wien in einem Maße Wohnungen benötigt, wie es zuletzt in den 1920er Jahren des Roten Wien der Fall war. Damals nahm man das Geld für Wohnbau aus der Wohnbausteuer, die vor allem auf Vermögen und Luxus zielte. Wäre eine ähnliche Steuer heute noch denkbar?

Renate Brauner: Eine derartige neue Steuer auf kommunaler Ebene ist sicher nicht sinnvoll. Aber es gibt die bekannten Instrumente, für die wir uns einsetzen könnten. Etwa die Einführung einer Vermögenssteuer auf Bundesebene oder eine Reform der Grundsteuer. Durch Vermögenssteuern könnten zum Beispiel untere Einkommen gestärkt werden. Das würde auch die Wirtschaft ankurbeln. Denn eine alleinerziehende Mutter wird jeden investierten Cent wieder in den Konsum stecken. Bei einem Vermögenden wird das hingegen kaum der Fall sein, weil er etwa schon genug Autos hat und sich nicht noch eines kaufen wird.

Welche Möglichkeiten hat die Stadt Wien, um Geld für Investitionen zu lukrieren?

Einerseits über Gebühren, Steuern oder Abgaben, ein ausgewogenes Modell, mit dem wir sehr sorgsam umgehen müssen. Und dann gibt es Fremdfinanzierungen. Mit unserem Schuldenmanagement sind wir als Stadt sehr erfolgreich. Wenn man die übliche Maßzahl in Prozentsätzen des BIP misst, dann befindet sich die Stadt Wien bei einem Verschuldungsgrad von sechs Prozent in Relation zur Wirtschaftsleistung.

Für große Teile der Bevölkerung sind wahrscheinlich alle Schulden zu viel. Woran liegt das?

Ich glaube, wir haben die Bevölkerung auf unserer Seite. Die Zufriedenheit mit den Öffis ist ja sehr hoch. Wenn wir die Menschen fragen, ob wir aufhören sollen, in Spitäler oder Öffis zu investieren, verneinen viele und stehen inhaltlich hinter uns. Wenn man dieselben Menschen nach der Verschuldung in Wien fragt, werden sie antworten, dass die Verschuldung zu hoch ist. Jeder kann sich darauf verlassen, dass wir als Stadt sehr sparsam und effizient sind. Seit dem Jahr 2000 ist die Stadt Wien um rund 200.000 Personen gewachsen. Die Anzahl der Personen, die in der Stadt arbeiten, ist aber gleich geblieben.

Heiner Flassbeck: Die Skandalisierung von Schulden ist falsch. Denn wer vernünftig investiert, der schafft Vermögen. In vielen Volkswirtschaften wird gespart. Gleichzeitig vertraut man, dass jemand investiert. Das wird aber nicht passieren.

Was meinen Sie damit?

Wir rechnen nur im Verhältnis zum Einkommen, man müsste aber im Verhältnis des Vermögens rechnen. Wenn etwa ein privater Haushalt einen Kredit für eine Eigentumswohnung aufnimmt, dann hat sich seine wirtschaftliche Situation ja nicht verschlechtert. In der öffentlichen Debatte sieht man aber immer nur die Schulden. In Hamburg haben wir eine Vermögensuhr der reichsten zehn Prozent und eine Schuldenuhr der Stadt hingestellt. Die Vermögensuhr läuft zehnmal so schnell wie die Schuldenuhr.

Renate Brauner: Auf einen privaten Haushalt umgelegt, könnte man sagen, dass wir ins Auto investieren, damit man in die Arbeit fahren kann oder in eine neue Küche. Den Finanzierungen stehen reale Werte gegenüber. Von den Gemeindebauten des Roten Wien profitieren die Wienerinnen und Wiener noch heute.

Wie will man die Bevölkerung überzeugen, dass Schulden für Wachstum notwendig sind? Welche Strategien gibt es dafür?

Wir wollen den öffentlichen Diskurs weiter verstärken. Es liegt aber auch in der Verantwortung der Medien, wie das Thema in der Öffentlichkeit gesehen wird. Und nicht zuletzt wollen wir auch die Wirtschaft für unsere Politik gewinnen. Unsere Investitionen, wenn wir Schulen bauen oder U-Bahnen bestellen, sind ja schließlich auch Aufträge für die Wirtschaft. Abgesehen davon profitieren die Unternehmen selbst von guter Infrastruktur. Die hochgelobte Wiener Lebensqualität fällt ja nicht vom Himmel.

Heiner Flassbeck: In einer Marktwirtschaft können Unternehmen nur dann Gewinne machen, wenn sich andere verschulden. Es ist schwachsinnig von der Wirtschaftsseite, wenn sie gegen Schulden ist. Die schneiden sich ins eigene Fleisch. Die Wirtschaft kriegt sich damit auch klein, wenn die Infrastruktur nicht mehr funktioniert. Und wenn alle aus Angst sparen und kein Geld mehr ausgeben, dann wird die Wirtschaft auch nicht mehr funktionieren. Ich brauche Produktivität, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Das Einkommen muss zudem mit der Produktivität steigen. Wenn das nicht passiert, dann kann man das wie in Deutschland oder Österreich mit Export zwar überspielen. Die Binnennachfrage bleibt aber gelähmt.

Abgesehen von skeptischen Teilen in der Bevölkerung. Frau Brauner, Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch hat zuletzt in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" auch die Maastricht-Kriterien als Konjunktur- und wirtschaftspolitisch hemmend bezeichnet.

Renate Brauner: Wir wollen, dass nachhaltige Investitionen in den Bereichen Bildung, Forschung und Entwicklung, die niemand bestreiten kann, aus den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätspakt herausgenommen werden, damit diese ermöglicht und fremdfinanziert werden können. Es ist auch in schwierigen Zeiten wichtig zu investieren.

(Anm: Oxonitsch zur "Wiener Zeitung": Bei einem Schulneubau würden die Investition von 50 Millionen Euro sofort wirksam, bei einem Spital seien es immerhin gleich 800 Millionen. "Ich sehe nicht ein, dass das in den zwei Jahren, in denen ich baue, wirksam wird und nicht in den 30 Jahren, in denen die Einrichtung dann besteht", so Oxonitsch.)

Im Mai sind die EU-Wahlen. Für viele Menschen ist die EU ein Schreckgespenst. Wie wollen Sie diesen Menschen die EU näherbringen?

Die EU ist ja kein abstraktes Gebilde, wo Themen einfach vom Himmel fallen. Da gibt es unterschiedliche politische Strömungen. Ich will, dass jene gestärkt werden, die Pakete gegen Jugendarbeitslosigkeit schnüren wollen und Investitionen in Bildung und Forschung fordern. Denn das sind entscheidende Zukunftsfragen für uns alle - der arbeitslose spanische Jugendliche und die jobsuchende Wiener Jungakademikerin sitzen im selben Boot.