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Linz ist eine Stahlstadt. Doch man bemüht sich seit Jahrzehnten um ein neues, kreativeres Image.
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Ihr Kopf wurde abgetrennt. Nun endete die Brücke im Nichts. Nach dem dritten Stahlbogen brach sie auf halber Länge abrupt ab. Wie dem Kopf erging es in den nächsten Wochen auch ihren anderen Gliedern. Stück für Stück verschwand die Linzer Eisenbahnbrücke. Und mit ihr das inoffizielle Wahrzeichen der Stadt.
Seit jeher waren die grünen, mit Rost gesprenkelten Stahlträger Herzstück der Linzer Identität. Wie ein Monument der Schwerindustrie verbanden sie die Ufer der Donau. Generationen von Arbeitern fuhren in Schichtbussen aus dem Umland über die Eisenbahnbrücke in die Produktionsstätten der Stahlstadt. Doch nun ist die Brücke Geschichte. Einer ihrer drei Stahlbögen soll als Reminiszenz in das Linzer Stadtbild integriert werden. Ein funktionalistisches Bauwerk zum Denkmal umfunktioniert.
Steht die Geschichte der Eisenbahnbrücke symbolisch für die Entwicklung der gesamten Wirtschaftsregion? Hat sich die Hochburg der Industrie zu einem Zentrum für Kunst und Kultur entwickelt? In den vergangenen Jahrzehnten versuchte die Stadt sichtlich ambitioniert, ihren Nimbus als dreckige Stahlstadt abzustreifen. Der Slogan "Von der Industriestadt zur Kulturstadt" sollte ihre Bemühungen versinnbildlichen. Doch ist der Imagewandel gelungen? Beginnen wir von vorne.
Ein Zentrum der Schwerindustrie
Linz ist in den 1980er-Jahren vor allem eins: grau und schmutzig. Die Schlote der Fabriken blasen Schwefeldioxid, Stickstoff und Staub in die Luft. Die ganze Stadt ist in Smog gehüllt. An manchen Tagen schneit es gräulich-weißen Industrieschnee. "Linz galt als Zentrum der verstaatlichten Industrie", sagt Roman Sandgruber, ehemaliger Leiter des Instituts für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität in Linz. Die glühenden Hochöfen der Vöest waren bis ins Umland sichtbar. Rund 30.000 Mitarbeiter erzeugten hier auf fünf Quadratkilometern im Schichtbetrieb Stahl. Auch die benachbarte Chemie Linz AG war im Besitz des Staates. Sie produzierte hauptsächlich Düngemittel für die Landwirtschaft. In der "Tschickbude", wie die Linzer die Produktionsstätte der Austria Tabakwerke im Stadtteil Kaplanhof neckisch riefen, gingen täglich tausende Schachteln Memphis, Milde Sorte, Smart und Dames über die Fließbänder.
Linz hatte mehr Arbeitsplätze als Einwohner. Täglich pendelten tausende Menschen aus der Peripherie in die Fabriken. Doch auch in der Stadt selbst wurde es langsam eng. Die Bevölkerung hatte den – bis heute geltenden – Höchststand von knapp über 200.000 Menschen erreicht. Um der wachsenden Arbeiterschaft Wohnraum zu bieten, entstanden ganze Viertel. Das berüchtigte Harter Plateau – eine Wohnmaschine für 1500 Bewohner – wurde am Stadtrand aus dem Boden gestampft. Noch heute schimpfen die Linzer über die "Bausünden" der schnell und vor allem billig errichteten Gebäude dieser Zeit.
Das komplette Linzer Stadtbild war der Industrie untergeordnet. In kultureller Hinsicht hatte die Landeshauptstadt wenig zu bieten. Einziger Lichtblick war das 1974 errichtete – und nach dem Komponisten Anton Bruckner benannte – Konzerthaus an der Donaulände. Der Metallkünstler Helmuth Gsöllpointner initiierte 1977 außerdem die Ausstellung forum metall, Großplastiken verschiedenster Künstler. Bis heute verweisen die Kolosse neben der Donau auf die enge Verquickung von Kunst und Industrie, die sich in Linz bis heute kontinuierlich verstärken sollte.
Subversive Stahlstadtkinder
Ohne Stahl geht in Linz wohl gar nichts. Denn auch abseits der Hochkultur zündete im Schatten der Schlote ein Funke der Kreativität. Die Welle des Punk rollte Ende der 1970er-Jahre von England auf das europäische Festland und brach sich ausgerechnet in Linz. Die Stahlstadtkinder, wie sie die Band Willi Warma im gleichnamigen Lied besang, machten Linz zum landesweiten Zentrum der Gegenkultur. In Lokalen und Vereinen wie dem Café Landgraf, der Stadtwerkstatt oder der Kapu fand die Jugendszene ein Ventil. Ekstatisch wilde Underground-Konzerte wurden gefeiert. 1989 trat in der Kapu sogar – die noch weitgehend unbekannte – Grunge-Band Nirvana auf. Doch auch die Linzer selbst machten Musik. Bands wie Fuckhead, Texta oder Attwenger gibt es noch heute.
1979 feierte die Ars Electronica mit einer Klangwolke Premiere. Das Festival widmet sich der Verknüpfung von Kunst, Technologie und Gesellschaft. Erstmals wurde Linz aus kulturellen Gründen international beobachtet. Etwa zur gleichen Zeit entdeckte die Stadtverwaltung Kultur als möglichen Motor für Wirtschaft und Stadtentwicklung.
Der nun eingeschlagene Weg sollte 30 Jahre später zu einem ersten Höhepunkt führen. Im Jahr 2009 wurde Linz der Titel der Europäischen Kulturhauptstadt verliehen. Stadt, Land und Bund investierten gemeinsam rund 60 Millionen Euro in die Infrastruktur. Eine Reihe neuer Kulturbauten entstand. So baute man das 1996 errichtete Ars Electronica Center – eines der weltweit führenden Museen für die Technologien der Zukunft – großräumig aus, setzte mit dem Lentos-Kunstmuseum einen sterilen Glaskubus neben die Donau und modernisierte das Offene Kulturhaus im Stadtzentrum.
Von der Tschickbude zur Tabakfabrik
Schon im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres wurde aber vor allem aus der alternativen Kunstszene rund um das Kulturzentrum Kapu Kritik an der Programmierung laut. Die Fördergelder flossen – um kaufkräftige Touristen zu locken – fast ausnahmslos in leicht zu konsumierende Kunst oder die ohnehin großen Museen der Stadt. Dies hatte auch ökonomische Gründe. "Nach der Vöest-Krise in den 1980er-Jahren und der Zerschlagung und Privatisierung der Großkonzerne in den 1990er-Jahren verlor die klassische Schwer- und Maschinenindustrie im Vergleich zu den 70ern an Bedeutung", sagt Sandgruber. Gleichzeitig eröffnete sich eine neue ökonomische Möglichkeit – die sogenannte Kreativwirtschaft, jener Wirtschaftssektor, der sich mit der Schaffung, Produktion und Verbreitung von kreativen Gütern und Dienstleistungen befasst.
Die ehemalige Tabakfabrik ist bezeichnend für diese Entwicklung. Nachdem die letzte Zigarette gestopft war, verstummten die Maschinen. Im Jahr 2010 kaufte die Stadt das 38.000 Quadratmeter große, denkmalgeschützte Areal um 20,4 Millionen Euro von Japan Tobacco International zurück und erklärte es zum Zentrum der Kreativwirtschaft. Heute werden dort statt Zigaretten Ideen fabriziert. In den ehemaligen Produktionshallen haben sich Architekturbüros, Modelabels oder Designer angesiedelt. Wo sich einst die Arbeiterklasse organisierte, sitzen nun Bobos vor ihren Mac-Books.
Und die Branche floriert. "Die Kreativwirtschaft ist einer der wenigen krisensicheren Wirtschaftszweige. Es gab in den vergangenen Jahren ein stetiges Wachstum, das über dem Durchschnitt der klassischen Branchen lag", sagt Georg Tremetzberger von der Serviceplattform "Creative Region". Die Initiative wurde von der Stadt Linz und dem Land Oberösterreich 2011 zur Stärkung der Kreativwirtschaft gegründet. "Wir verstehen uns als Vermittler. Mit unterschiedlichen Formaten vernetzen wir Kreative untereinander und versuchen, die Brücke zwischen Kreativwirtschaft und Industrie zu schlagen."
Kreativwirtschaft boomt
Und ist dies bereits gelungen? Die Netzwerkstudie der Kreativwirtschaft Austria vom Mai 2014 behauptet ja. "Die oberösterreichische Kreativwirtschaft hat etwas sehr Wichtiges geschafft – nämlich, einen Brückenschlag zur klassischen Industrie und traditionellen Unternehmen herzustellen", schreibt Christian Gulas, Autor der Studie. Sie verschränke sich mit den alteingesessenen Unternehmen. Beide Sparten würden gegenseitig voneinander profitieren. So gestalten etwa immer öfter Designer die Maschinen und Produkte der industriellen Unternehmen. Die Grenzen verschwimmen.
"Wir haben in Oberösterreich über 4000 Unternehmen, die der Kreativwirtschaft zugerechnet werden – das ist fast jedes zehnte Unternehmen", sagt Tremetzberger. Dies liegt vor allem an der starken IT-Branche des Bundeslandes. Hier arbeiten um 8,5 Prozent mehr Menschen in diesem Bereich als im Landesschnitt. Und der Sparte wird weiterhin das stärkste Wachstum prognostiziert. Die bekannte Sport-App Runtastic ist nur die Speerspitze dieser schnellen Entwicklung. Vor allem der Softwarepark Hagenberg im Mühlviertel gilt mit seiner Fachhochschule als Brutstätte vieler Startups. Aber auch andere Ausbildungsstätten, wie die Kunstuniversität Linz, bringen kreativen Nachwuchs hervor, der sich im Umfeld von Medienkunst, digitaler Kultur und Kreativwirtschaft bewegt.
Linz scheint also ein fruchtbarer Boden der Kreativwirtschaft zu sein. Die demonstrativen Bemühungen, der Stadt das Image einer Hochburg für Kunst und Kultur zu verpassen, wirken dennoch übertrieben. "Im direkten, wirtschaftlichen Vergleich mit der Industrie ist die Sparte immer noch vernachlässigbar", sagt Sandgruber. "Mit 56.000 oberösterreichischen Arbeitern dominiert natürlich die Industrie". Der Slogan "Von der Industriestadt zur Kulturstadt" greift also nicht. Vielmehr scheint sich die Einschätzung von AK-Präsident Johann Kalliauer zu bestätigen. "Linz ist eine Stahlstadt geblieben, aber dabei auch eine Kulturstadt geworden", sagte er kürzlich.
Denn zumindest suggeriert man heute nicht sofort Stahl, Smog und Industrieschnee mit der Landeshauptstadt. Das Bild von Linz hat sich ein Stück weit gedreht. Ein Bild, das in Zukunft mit einem Monument der Arbeiterschaft weniger auskommen muss. Der letzte Stahlbogen der Eisenbahnbrücke wurde bereits am Ufer aufgebahrt. Ihre Pfeiler ragen nutzlos aus dem Wasser.