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Ohne Strafgerichtshof keine EU-Entwicklungshilfe

Von Stefan Brocza

Gastkommentare
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen. Im Vorjahr erschien der von ihm herausgegebene Sammelband "Die Auslagerung des EU-Grenzregimes" bei Promedia.
© privat

Die Liste jener afrikanischen Staaten, die nicht mehr mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten wollen, wird immer länger. Dies hat weitreichende Folgen.


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Burundi hat jüngst seinen Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) bei den Vereinten Nationen angemeldet. Weitere afrikanische Staaten wollen den gleichen Weg gehen: Jüngst kündigte Gambia an, aus dem IStGH austreten zu wollen. Damit folgt das Land entsprechenden Ankündigungen Südafrikas und Burundis. Auch Namibia und Kenia schließen einen solchen Schritt nicht mehr aus.

Die Entscheidung Südafrikas wird damit begründet, dass die Verpflichtungen gegenüber dem Strafgericht in Den Haag nicht mit dem Einsatz Südafrikas für Frieden in Afrika vereinbar seien. Sie stünden nämlich im Widerspruch zu Gesetzen, die Staats- und Regierungschefs diplomatische Immunität zusagten.

Das Parlament in Burundi hat bereits für einen Austritt gestimmt. Das Land steckt seit Mitte 2015 in einer tiefen politischen Krise, ausgelöst durch den Staatspräsidenten, der sich trotz einer gesetzlichen Begrenzung eine dritte Amtszeit verschaffen wollte. Bei den Ausschreitungen im Zuge der Proteste dagegen und bei der Verfolgung der Opposition wurden mehr als 1000 Menschen getötet. Der IStGH leitete daher im April Vorerhebungen zu Berichten über Morde, Folter, Vergewaltigung und andere Formen der sexuellen Gewalt ein. Gambia wiederum, seit Jahren wegen massiver Menschenrechtsverletzungen unter Beobachtung, erklärt seinen Austritt damit, dass der IStGH nur Menschen "mit dunkler Hautfarbe, insbesondere Afrikaner, verfolge und demütige".

Allein das Vorhaben, den IStGH zu verlassen, wirft einige grundlegende Fragen zur Zukunft des Entwicklungsengagements der Europäischen Union auf: Die im Abkommen von Cotonou festgeschriebene Partnerschaft ist an die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem IStGH gebunden. Afrikanische Staaten, die Mittel aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) wollen, müssen sich zur Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichten. Auf diese einzigartige Verpflichtung ist man auf europäischer Seite besonders stolz - handelt es sich dabei doch um die einzige derartige Klausel in einem Abkommen mit Drittstaaten.

432 Millionen Euro weniger

Die Tragweite sowie die daraus erwachsenden Verpflichtungen mögen zu Beginn nicht allen Beteiligten klar gewesen sein. Nur der Sudan wollte sich nicht dem Diktat eines internationalen Strafgerichtshofes unterwerfen und ratifizierte das Abkommen von Cotonou nicht. Die Konsequenz: Dem Sudan sind aktuelle Mittel aus dem EEF verwehrt.

Die über Jahrzehnte bereits zur Tradition gewordene beträchtliche Mittelzufuhr an afrikanische Staaten - seit dem ersten Lomé-Abkommen von 1975 - müssen bei einem Austritt aus dem IStGH entfallen. In der Konsequenz bedeutet das, dass etwa Burundi aufgrund seines Austritts auf immerhin 432 Millionen Euro (für den Zeitraum 2014 bis 2020) verzichten muss. Macht Namibia seine Ankündigung wahr, verliert es 68 Millionen Euro, Kenia beachtliche 435 Millionen Euro an EU-Entwicklungshilfe.

Es wäre höchste Zeit für die EU, deutlich darauf hinzuweisen, dass mit dem Austritt aus dem IStGH für die betreffenden afrikanischen Staaten klare unmittelbare Konsequenzen verbunden sind: Neben dem politischen Reputationsverlust droht auch der Verlust von liebgewonnenen regelmäßigen Entwicklungszahlungen. Warum sollte Europa auch weiterhin Staaten alimentieren, die sich nicht einmal mehr an der internationalen Verfolgung und Bestrafung von Kriegsverbrechen beteiligen wollen?