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Ohne totale Entschuldung gibt es keine Entwicklung

Von Brigitte Pilz

Politik

"Österreich sollte den armen Länder die Schulden vollständig erlassen." Diese Forderung wird in einer aktuellen Studie*) aufgestellt, die Alternativen zur bisherigen Gläubigerpolitik unseres Landes gegenüber den hochverschuldeten Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas aufzeigt.


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Entschuldung, heißt es in dieser Studie, ist ein Gebot der Solidarität und der Vernunft. Sie hätte nicht nur positive Auswirkungen auf die Schuldnerländer. Die großteils ohnedies unbezahlbaren Schulden vieler verarmter Staaten könnten endlich gestrichen werden. Eine Entschuldung würde verhindern, "dass auch noch künftige österreichische Generationen Forderungen abschreiben müssten".

Im Grunde wird die Erkenntnis von einer breiten Öffentlichkeit geteilt: Die Entschuldung der ärmsten Länder dieser Welt ist eine unabdingbare Voraussetzung für wirksame Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung. Die Zahlen übersteigen jedes Vorstellungsvermögen: Hunderte von Milliarden US-Dollar an Schulden lasten auf den Entwicklungsländern. Experten haben errechnet, dass allein mit den Zinsen rund drei Viertel der fast einer Milliarde an Hunger leidenden Menschen ausreichend ernährt werden könnten.

Um die Schuldendienste zumindest teilweise aufbringen zu können, werden Steuern erhöht und Sozialleistungen abgebaut. Über die Ursachen des Schuldendilemmas gehen die Meinungen auseinander. Externe (Leichtsinnigkeit der Kreditgeber, Preisverfall auf dem Weltmarkt, Naturkatastrophen etc.) und interne Faktoren (Missmanagement, politische Instabilität, Korruption, Kriege etc.) dürften von Land von Land unterschiedlich stark mitgespielt haben. Unbestritten ist: Schuldner und Gläubiger tragen Mitverantwortung für die Krise und deshalb auch für deren Lösung.

Bisher wenig Initiativen

1996 starteten Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) als wesentliche multilaterale Gläubiger die HIPC-Initiative (HIPC: Heavily Indebted Poor Countries). 41 hochverschuldeten Ländern sollten die Schulden auf ein erträgliches Maß reduzieren werden. Die Auflagen in Form von Strukturanpassungsprogrammen erwiesen sich als zu hoch, so dass wenig Bewegung in die Entschuldung kam.

Die verbesserte HIPC-II-Initiative trug der Kritik Rechnung, die Grenze der Schulden-Tragfähigkeit wurde nach unten revidiert. Neue Auflagen kamen in Form des PRSP (Poverty Reduction Strategy Paper) hinzu. Danach muss ein Land vor der Entschuldung ein Strategiepapier zur Armutsverringerung vorlegen, in dem die Zivilgesellschaft sowohl bei der Erstellung als auch bei der Kontrolle der Durchführung einbezogen ist. Das ist zwar eine sinnvolle Forderung, damit freiwerdende Gelder tatsächlich den Armen zugute kommen. Sie ist aber ebenfalls schwer zu erfüllen.

Weil auch HIPC-II keine tiefgreifende Entschuldung zu bringen droht, haben einige Gläubigerländer (USA, Kanada, Großbritannien, Italien, Schweiz) beschlossen, auch bilateral zu entschulden.

Bisher hat Österreich wie von der UNO bereits 1979 vorgeschlagen, bilaterale Entwicklungshilfe-Darlehen in Höhe von ATS 1,17 Mrd. gestrichen. Österreich ist Mitglied im Pariser Club und trägt daher die Beschlüsse der HIPC-Initiativen mit. Ferner wurden in drei Projekten Partnerländern Entschuldungshilfe gewährt. "Das ist für eines der reichsten Länder dieser Welt zu wenig", sagt Barbara Rohregger. "Wir haben nach bestimmten Kriterien 22 bei Österreich verschuldete Entwicklungsländer ausgewählt. Ihnen sollte Österreich die gesamten staatlich garantierten Schulden streichen." In der Studie wird aufgezeigt, wie man in jedem einzelnen Fall vorgehen könnte. Martina Neuwirth ergänzt: "Zentral ist unsere Forderung, dass Entschuldung garantiert für nachhaltige Entwicklung genutzt werden muss." Dazu sei das Einbeziehen der Zivilgesellschaft unerlässlich.

Vorbild ist die Schweiz. Bereits vor zehn Jahren hat sie 700 Mio. SFR für Entschuldung bereitgestellt. Begünstigte Länder zahlen rund 15% der gestrichenen Schulden in einen Gegenwertfonds. Damit werden Entwicklungsprojekte lokaler NGOs finanziert, bevorzugt im Bildungs-, Umwelt- und Sozialbereich. Österreich würde die Entschuldung der vorgeschlagenen 22 Länder maximal 20 Mrd. ATS kosten. Auf zehn Jahre verteilt, käme auf jenen Österreicher eine monatliche Belastung von 21,-- Schilling. Neuwirth: "Wir nennen dies die Leberkässemmel-Rechung."

In jedem Fall ist Entschuldung nur ein erster Schritt. Um eine neuerliche Verschuldung zu vermeiden, müssen in jeden Land die genauen Ursachen erforscht werden. "Und eigentlich bräuchte es den Umbau unseres globalen Finanzsystems, das nach Ansicht namhafter Experten, die armen Länder systematisch benachteiligt."

*) "Zukunft ohne Schulden?" von Martina Neuwirth und Barbara Rohregger, ÖFSE Edition 11, Wien 2001.