Zweisprachige Angebote in Französisch, Spanisch, Italienisch und Kroatisch. | Muttersprachlicher Unterricht in Wien derzeit in 18 Sprachen möglich. | Wien. Die Nachfrage nach Plätzen in Wiens öffentlichen englisch-deutschen Schulen ist groß: Auch Eltern von Kindern, die ausschließlich Deutsch als Muttersprache haben, schicken ihre Tochter, ihren Sohn gerne in diese Schulform. "Vienna Bilingual Schooling" (VBS) nennt sich ein Schulversuch, den es seit rund zehn Jahren gibt und der vorrangig für zweisprachige Familien konzipiert wurde. Das Angebot umfasst derzeit acht Volksschul-, acht Mittelschul- und fünf Oberstufen-Standorte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Dennoch gibt es keinen weiteren Bedarf an derartigen Schulen, betont Franz Schimek, Leiter des Europa-Büros im Stadtschulrat. Denn diese Schulform funktioniert nur über das "Peer-Learning". Soll heißen: Lernen von Gleichaltrigen. An VBS-Schulen setzen sich die Klassen jeweils zur Hälfte aus Schülern mit Deutsch als Erst- und Englisch als Zweitsprache sowie Kindern mit Englisch als Erst- und Deutsch als Zweitsprache zusammen. Bei Schulantritt müssen bereits beide Sprachen beherrscht werden.
Der Sprachunterricht erfolgt getrennt, die Alphabetisierung zunächst in der Erstsprache, erst ab der dritten Schulstufe auch in der Zweitsprache. In den anderen Gegenständen unterrichten der deutschsprachige Lehrer und der Native Speaker Teacher gemeinsam. So wird bis zur Matura perfekte Zweisprachigkeit erreicht.
Zweisprachige Angebote gibt es im Wiener öffentlichen Schulwesen zudem in der Volksschule auch in den Sprachen Französisch, Spanisch, Italienisch und Kroatisch - wenn auch in kleinerem Umfang als beim VBS-System. Hier müssen die Kinder jeweils nur Vorkenntnisse, aber keine umfassenden Fertigkeiten in der Zweitsprache mitbringen. Kinder aus afrikanischen Ländern beherrschen beispielsweise oft nur einzelne französische Wörter, erzählt Miriam Lukasser, Koordinatorin für Romanische Sprachen im Europa-Büro. Vor allem für die Eltern sei es motivierend, wenn die Kinder in ihrer Mehrsprachigkeit wahrgenommen würden.
Lukasser freut sich zudem, dass es zum Beispiel am Standort Volksschule Stubenbastei, an dem es ein französisch-deutsches Angebot gibt, zu einer guten sozialen Durchmischung kommt. Hier lernen Kinder aus Diplomatenfamilien gemeinsam mit Schülern, die in Wien Asyl gefunden haben. Die Angebote in den romanischen Sprachen gehen zudem vielfach auf Elternwünsche und -initiativen zurück, erzählt sie.
Schimek betont, dass man im Stadtschulrat grundsätzlich stets bemüht ist, "auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu reagieren". Kinder mit Ungarisch, Tschechisch oder Slowakisch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache werden im Rahmen von Schulschwerpunkten etwa durch Native Speaker in diesen Sprachen unterrichtet.
Was im Wiener Angebot fehlt, ist eine türkisch-bilinguale oder türkischsprachige Schwerpunktschule. Allerdings nicht, weil sich die Schulverwaltung dagegen stellt. "Es fehlt die Akzeptanz in der Bevölkerung", so Schimek. Soll heißen: Eltern deutschsprachiger Kinder haben kein Interesse daran, dass ihre Kinder Türkisch lernen. Nur im wechselseitigen Peer-Learning funktioniert allerdings ein bilinguales System. Einmal habe man eine türkisch-deutsche Klasse geführt, zu einer Fortsetzung sei es wegen mangelnder Nachfrage nicht gekommen. Es müsse wohl erst eine gesellschaftliche Wertschätzung dieser Sprache erreicht werden, bevor es für entsprechende schulische Angebote Akzeptanz gibt.
Manfred Pinterits, Bezirksschulinspektor für den 7. und 15. Bezirk und Integrationsexperte im Stadtschulrat, bedauert, dass Türkisch bis heute in Wien nicht maturabel ist. Auf einer anderen Ebene ist Türkisch dagegen stark vertreten: Es zählt mit der Sprachengruppe Bosnisch-Kroatisch-Serbisch (BKS) zu den am meisten nachgefragten Sprachen im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts für Kinder mit einer anderen Muttersprache als Deutsch. In diesen häufigen Sprachen findet er meist am Vormittag statt, oft im Rahmen von Teamteaching, in den selteneren der insgesamt 18 Idiome (darunter Koptisch, Chinesisch, Romanes oder Arabisch) wird die Muttersprache nachmittags in Sammelgruppen perfektioniert. Dies gilt dann als Angebot, aber nicht als verpflichtender Unterricht. In Wien erhalten rund 15.000 Schüler muttersprachlichen Unterricht. In ganz Österreich sind es an die 28.000.
Besseres Deutsch durch Stärkung der Muttersprache
Wien-weit besuchen derzeit rund 60.000 Kinder die Volksschule, rund die Hälfte davon hat Migrationshintergrund, so Pinterits. An die 15.000 Kinder haben dabei eine der BKS-Sprachen als Muttersprache, rund 10.000 Türkisch. Im vergangenen Schuljahr stiegen rund 2600 Schüler als komplette Deutschanfänger ins Schulsystem ein. Für diese Kinder gibt es Sprachförderkurse. Elf Stunden in der Woche erlernen sie im ersten Schuljahr in der Gruppe Deutsch. Steigen sie auf einem etwas besseren Level ein oder haben dieses erste intensive Förderjahr bereits absolviert, gibt es fünf zusätzliche Deutschstunden pro Woche.
Pinterits betont, dass die Stärkung der Muttersprachenkompetenz wichtig ist, um Begrifflichkeiten zu erfassen, auch in der Herkunftssprache die Fertigkeiten zu erlernen, die man in der Schule mit ihrer akademischen Sprache braucht. "Wir bieten die Muttersprache als Medium an, aber natürlich soll dann die deutsche Sprache verwendet werden."
Heute wisse man, dass Kinder durch eine bessere Kompetenz in der Muttersprache auch die Zweitsprache, also Deutsch, leichter erlernen. Sprache sei zudem identitätsstiftend - und es gehe auch um die Sprachressourcen. Denn nur wer die Muttersprache auch als Bildungssprache vermittelt bekomme, sei am Ende wirklich zweisprachig. Sonst beschränke sich die Kompetenz in der Herkunftssprache nur auf die Kommunikation in Alltagssituationen.