Schwerer Rückschlag für die Gesundheitsreform des Präsidenten. | Demokraten verlieren wichtigen 60. Sitz im Senat. | Wien/Boston. Ein bis vor kurzem außerhalb von Massachusetts weitgehend unbekannter Lokalpolitiker hat US-Präsident Barack Obama genau zum einjährigen Amtsjubiläum eine schwere innenpolitische Niederlage zugefügt. | Analyse: Demokraten legen Obama lahm | Interview mit US-Politologen Ronald J. Hrebenar | Ex-Nacktmodel folgt Kennedy | Obamas Umfragewerte schwächeln | Die Bankensteuer Obamas dürfte nun vom Tisch sein
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Scott Brown, seit 2004 Senator im Bundesstaat Massachusetts, besiegte mit 52 zu 47 Prozent klar die demokratische Kandidatin für die Nachfolge des im August 2009 verstorbenen Langzeit-Senators Edward (Ted) Kennedy, Martha Coakley. Die Demokraten verlieren damit den für sie so wichtigen 60. Sitz im Senat, mit dem sie verhindern können, dass die republikanische Opposition ihre Gesetzesvorlagen durch Filibusterreden blockiert.
Demokraten-Niederlage in liberaler Hochburg
Die Niederlage in Massachusetts für die Demokraten ist besonders schmerzlich, da der Bundesstaat als liberale Hochburg gilt und die nun wieder gefährdete Gesundheitsreform ein besonderes Anliegen des verstorbenen Kennedy war.
Es kann bis zu zwei Wochen dauern, bis das Wahlresultat von Massachusetts bestätigt ist, und die unterlegene demokratische Kandidatin Coakley hatte noch am Wahltag aufgezeigt, dass Wähler in drei Abstimmungslokalen Stimmzettel erhalten hatten, auf denen bereits ein Votum für Brown markiert war. Die Demokraten hätten rein theoretisch Zeit, die umstrittene Gesundheitsreform im Eiltempo durchzupeitschen, bevor Brown seinen Senatssitz einnimmt. Ein derartiges Vorgehen gilt aber als unwahrscheinlich.
Erster Sieg der Republikaner seit 1972
Brown ist der erste republikanische Kandidat seit 1972, der bei einer Senatswahl in Massachusetts reüssieren konnte. Und das, obwohl sich Präsident Obama und sein demokratischer Vorgänger Bill Clinton in den letzten Tagen vor der Wahl aktiv in den Wahlkampf der demokratischen Kandidatin Martha Coakley eingeschaltet hatten. "Wenn ihr bei der letzten Wahl engagiert wart, so brauche ich euch bei dieser Wahl noch engagierter", sagte der Präsident am Wochenende bei einer Wahlveranstaltung. Obama hatte bei den Präsidentenwahlen in Massachusetts einen Vorsprung von 26 Prozent vor seinem republikanischen Gegenkandidaten John McCain.
Auch die Witwe Ted Kennedys, Vicky, schaltete sich intensiv im Wahlkampffinale ein und rief dazu auf, das Vermächtnis ihres Mannes zu retten.
Der überraschende Sieg Browns kam nach Ansicht von Wahlforschern nicht zuletzt dadurch zustande, dass zahlreiche unabhängige und konservative Wähler, die in der Vergangenheit für Kennedy gestimmt hatten, diesmal republikanisch wählten. Für viele waren auch wirtschaftliche und Arbeitsmarktfragen wahlentscheidend.
Wissen: Supermehrheit im US-Senat
Schock für die US-Demokraten: Sie haben durch den überraschenden Sieg des Republikaners Scott Brown im als demokratischen Erbland geltenden Ostküstenstaat Massachusetts ihre "Supermehrheit" im US-Senat von 60 Stimmen verloren. Dadurch wird die Durchsetzung großer Gesetzesvorhaben, insbesondere der umstrittenen Gesundheitsreform, immer unsicherer.
Diese Drei-Fünftel-Mehrheit ist im US-Senat insbesondere deswegen von Bedeutung, um Kontrolle über die verfahrenstechnischen Abläufe zu gewinnen. Da die Sprechzeit der Senatoren im Normalfall nicht beschränkt ist, können Abgeordnete der kleineren Partei die Verabschiedung eines unerwünschten Gesetzes durch Dauerreden ("filibuster") deutlich verzögern bzw. blockieren.
Um eine derartige Blockade zu vermeiden, kann eine Gruppe von mindestens sechzehn Senatoren einen Antrag auf Redebeschränkung ("cloture") einreichen. Für die Annahme dieser Beschränkung ist wiederum eine Drei-Fünftel-Mehrheit - im Fall des 100-köpfigen Senats also 60 Stimmen - notwendig. Ist ein "cloture" angenommen, wird die Zeit der Debatte auf maximal 30 Stunden beschränkt, wobei die Redezeit pro Senator nicht mehr als eine Stunde betragen darf. Anschließend kommt es zur Abstimmung.
Die Demokraten hatten bereits bisher nur 58 Sitze im Senat, wurden aber von zwei unabhängigen Senatoren - ihrem ehemaligen Vizepräsidentschaftskandidaten Joseph Lieberman für Connecticut und Bernard Sanders für Vermont - unterstützt.