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Ohrfeige für Orbán

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Ungarns Premier ist mit seiner Anti-Flüchtlingspolitik nicht nur beim Volk, sondern nun auch im Parlament gescheitert.


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Budapest. Zwei Stimmen im Parlament. So wenig hat für den letzten Gnadenstoß ausgereicht, den ausgerechnet Ungarns rechtsextrem Partei Jobbik dem derzeit wichtigsten politischen Projekt des Ministerpräsidenten Viktor Orbán gegeben hat. Nur 131 Abgeordnete - und damit zwei zu wenig für die notwendige Zweidrittelmehrheit - stimmten am Dienstag für die Verfassungsänderung, die nach Orbáns Willen verbieten hätte sollen, dass Ausländer "gegen den Willen des Volkes" in Ungarn "angesiedelt" werden dürfen. Nur mit den Stimmen von Jobbik hätte die Mehrheit zustande kommen können.

Eine "Ansiedlung" von Ausländern hatte ohnehin niemand vor. Die Novelle hätte an der Rechtslage nichts geändert. Orbán hatte die Verfassungsänderung nur zu Propagandazwecken geplant, als Postscriptum zu seiner ohnehin ungerechtfertigten Triumphpose nach dem Anti-Flüchtlings-Referendum, das wegen ungenügender Beteiligung einen Monat zuvor gescheitert war.

Lange hatte es so ausgesehen, als würde die Verfassungsänderung mit Hilfe von Jobbik problemlos durchgehen. Aber Jobbik führte Fidesz meisterhaft an der Nase herum: Schon vor einem Jahr hatte Jobbik das Referendum verlangt und eine ursprünglich von Fidesz geplante simple Unterschriftensammlung gegen den Zuzug von Fremden für ungenügend erklärt. Ziel war es, der EU-Kommission quasi rechtsverbindlich zu beweisen, dass die Ungarn keine Flüchtlinge wollen. Im April dieses Jahres legte Jobbik nach: Ein Referendum sei zu teuer, zudem sei sein Ausgang unsicher - besser sei eine Verfassungsänderung, ohne das Volk zu befragen, erklärte damals der Jobbik-Vorsitzende Gábor Vona.

Orbán tappt in die Falle

Die Falle schnappte Ende Oktober zu, als Vona plötzlich entschied, dass Jobbik die Verfassungsänderung nicht billigen werde, wenn nicht gleichzeitig jene Regelung abgeschafft wird, die Nicht-EU-Ausländern ermöglicht, sich das Niederlassungsrecht in Ungarn mit dem Erwerb von Staatsobligationen zu erkaufen. Das brachte als Erstes die Regierungskommunikation ins Stolpern. Seit 2013 können reiche Ausländer in Ungarn und damit EU-weit Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen bekommen, wenn sie für 250.000 bis 300.000 Euro ungarische Obligationen kaufen. Diese Transaktionen werden über Offshore-Firmen abgewickelt, hinter denen regierungskritische ungarische Medien Günstlinge von Orbán vermuten. Nach offiziellen Angaben, die das Portal "444.hu" zitierte, haben bis Mitte dieses Jahres rund 3600 Ausländer solche Staatspapiere gekauft.

Nach dem Ultimatum von Jobbik ließ Orbáns Kanzlei zunächst verlauten, dass diese Regelung abgeschafft würde. Kurz danach überlegte sie es sich anders. Jobbik feierte den eigenen Triumph bei der Abstimmung am Dienstag im Parlament mit Pomp: Die Fraktion hielt im Plenarsaal ein Transparent hoch, auf dem zu lesen stand: "Ein Vaterlandsverräter ist jener, der für Geld sogar Terroristen hineinlässt". Daneben prangte der Fidesz-Parteiname in einem persiflierenden Design, das arabischen Schriftzügen nachempfunden war. David besiegte Goliath.

Der Jüngere hat es dem Alten mal gezeigt. Vona (38) hat damit die frühere paternalistische Haltung von Orbán (53) ad absurdum geführt. Als Jobbik noch in den Anfängen stand und paramilitärisch über die "Ungarische Garde" aktiv war, hatte Orbán gesagt, dass man extremistische Ausfälle bei Jobbik wie bei ungezogenen Kindern "mit zwei Ohrfeigen" abstellen könne. Das ist nun Geschichte.

"Viktor Orbán ist nicht daran gewöhnt, dass nicht das geschieht, was er will", konstatierte Vona jüngst in einem Interview mit der Zeitung "Magyar Nemzet". Wenn Orbán nicht einsehe, dass er nicht immer gewinnen könne, "gibt es Krieg".

Radikaler Schwenk

Vona bemüht sich bereits seit zwei Jahren, Ungarns Mitte für sich zu gewinnen und als gemäßigte "Volkspartei" zu erscheinen. "Man muss Jobbik eine neue Seele geben", sagte er mehrfach. Die alte "Seele" der Partei stamme aus ihrer Zeit der "Pubertät", nun sei man "erwachsen" geworden. Bei der Imagekosmetik helfen dem Jobbik-Chef auch die Medien, die dem bei Orbán in Ungnade gefallenen Mogul Lajos Simicska nahestehen, wie "Magyar Nemzet" und Hir TV - aber überraschend auch der Sender ATV, bis vor kurzem eine der wichtigsten Bühnen der ungarischen Liberalen.

Die Rechtsextremen setzen vor allem auf einen Antikorruptionsdiskurs, zu dem ihm die Klientelwirtschaft von Orbáns Fidesz viele Themen liefert. Gnädig bedauerte Vona sogar die jüngste Schließung der links-liberalen Zeitung "Népszabadság": "Die Pressefreiheit hat einen schweren Riss bekommen." Zwar sei er vor Jahren für die Abschaffung der damals regierungskritischen Sender RTL Klub und TV2 gewesen. Aber: "Ich habe mich seither stark geändert."

So einfach geht das für Vona: Die Seele der Partei und ihres Führers wird ausgetauscht wie ein kaputtes Rad. In seinem früheren Junior Vona hat Orbán den gefährlichsten Gegner. Nicht nur wegen der ideologischen Nähe und weil Jobbik Ungarns zweitstärkste Partei ist. Sondern auch, weil ihr Vorsitzender völlig unberechenbar ist.