Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Je näher der 30. Juni, der Tag der Wiederherstellung der irakischen Souveränität rückt, desto klarer wird es, dass die UNO aufgerufen werden wird, eine zentrale Rolle in der Übergangsphase zu übernehmen. Die UNO soll mithelfen, für den Irak eine Verwaltungsregierung für die Zeit vom 1. Juli bis zu den Wahlen im Januar 2005 einzusetzen, und diese bei der Durchführung der Wahlen zu beraten.
Einige Kritiker der UNO haben versucht, die Eignung der Organisation hinsichtlich dieser schweren Aufgabe in Frage zu stellen, indem sie Behauptungen über Korruption und Misswirtschaft des "Oil for Food"-Programms aufgeworfen haben. Jenes Programm, mit dem der Sicherheitsrat von 1996 bis 2003 versuchte, die Leiden der irakischen Bevölkerung zu lindern, die durch die Sanktionen gegen das Regime Saddams ausgelöst wurden.
Diese Behauptungen sind bis jetzt unbewiesen. Von Generalsekretär Kofi Annan aber werden sie sehr ernst genommen. Er hat eine Gruppe namhafter Persönlichkeiten bestellt, die eine Untersuchung einleiten sollen.
Diese Kommission wird nicht nur Aktivitäten des UNO-Personals untersuchen, sondern auch all jener, die im Auftrag der Vereinten Nationen oder des Irak im Rahmen des Erdöl-für-Nahrung-Programms tätig waren. Die Untersuchungskommission wird Zugang zu allen Unterlagen und zum Personal haben. Darüber hinaus hat der Sicherheitsrat alle Regierungen aufgerufen, in vollem Umfang zu kooperieren. Generalsekretär Annan hat zugesichert, gegen jeden UNO-Bediensteten, der sich eines Vergehens schuldig gemacht hat, vorzugehen. Er wird nicht dulden, dass Rechtsbrecher Zuflucht in der Immunität suchen.
Wie auch Paul Volcker, einer der Dreier-Ermittler-Gruppe, sagte: "Durch Anschuldigungen entsteht immer Schaden, aber viel wichtiger ist es herauszufinden, ob es Beweise gibt. Sollte dies der Fall sein, bringt es schleunigst ans Licht und brennt die Wunde aus!"
Niemand sollte die Ergebnisse der Ermittler beeinflussen. Momentan gibt es nur Behauptungen — einige präzise gegenüber genannten Personen, andere vage und allgemein sowie etliche, die durch Missverständnisse über die Art und den Zweck des Programmes entstanden sind.
Einige weit verbreitete Zahlen sind jedoch eindeutig falsch. Zum Beispiel war "Öl für Nahrung" kein "100-Mrd.-Dollar-plus"-Programm. Es sei denn, man zählt das Geld doppelt und addiert Ölexporte zu den humanitären Importen. Die Erlöse aus den irakischen Ölverkäufen im Rahmen des Programms beliefen sich in den sieben Jahren seines Bestehens auf 64,1 Mrd. US-Dollar.
Darüber hinaus ist die Schätzung des amerikanischen Rechnungshofes (General Accounting Office), dass "das frühere irakische Regime von 1997-2002 illegale Einnahmen in Höhe von 10,1 Mrd. Dollar aus dem Öl-für-Nahrung-Programm erhalten haben soll", irreführend formuliert worden, da sich mehr als die Hälfte der Summe (5,7 Mrd. Dollar) auf "aus dem Irak geschmuggeltes Öl" bezieht, was einen eklatanten Verstoß gegen die UNO-Sanktionen darstellt. Der Schmuggel ging über Jahre hinweg -- noch bevor das Programm geschaffen wurde -- und hatte mit diesem nichts zu tun.
Bleibt eine Summe von 4,4 Mrd. Dollar — wenn die Zahlen des Rechnungshofs stimmen — die auf zwei Wegen "abgeschöpft" worden sein könnte:
Erstens gibt es Beweise, dass Saddam Hussein absichtlich den Preis für sein Öl gesenkt hat, so dass, anstatt der vollen Summe auf das Treuhandkonto der UNO zu überweisen, eine geheime Summe ohne das Wissen der Vereinten Nationen von Käufern verlangt worden sein könnte, die auf geheime Konten flossen, oder von Mittelsmännern kassiert wurden, welche von Saddam als politische Gefälligkeiten Voucher erhielten. Nachdem im Jahr 2000 die Ölaufseher der UNO davon Wind bekamen, informierten sie den Sicherheitsrat, der sich einige Monate später darauf einigte, dass der Irak nunmehr rückwirkend seinen Ölpreis festlegen sollte, um den Spielraum für illegale Zahlungen zu verkleinern.
Zweitens hat Saddam Firmen, von denen er Lebensmittel und sanktionsfreie Güter kaufte, ermutigt, ihre Waren teurer zu verkaufen, um dann die Differenz zurücktransferieren zu lassen, natürlich nicht auf das UNO-Treuhandkonto, sondern auf seine eigenen Geheimkonten. Dieser Missbrauch war für die UNO-Mitarbeiter viel schwieriger aufzudecken.
In einigen Fällen hinterfragten sie die Preise, und wenn sie keine befriedigende Antwort erhielten, informierten sie den Sanktionsausschuss des UNO-Sicherheitsrates, der die Verträge letztendlich genehmigte. In keinem der Fälle seit 1998 hat eines der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates Bedenken über die Preise oder die Qualität der Waren geäussert. Erst nach dem Fall Saddam Husseins wurde das Ausmass der "Provisionszahlungen" offensichtlich.
Letztendlich, wie hoch auch immer Saddams illegale Einnahmen waren, hat das Programm 27 Millionen Irakern eine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ermöglicht. Zwischen 1996 und 2001 stieg die durchschnittliche Nahrungsmittelaufnahme von 1.200 auf 2.000 Kcal pro Tag. Die Mangelernährung bei Kindern wurde um 50% während der Laufzeit des Programms gesenkt, ebenso die Kindersterblichkeit unter 5 Jahren in der Mitte und im Süden des Landes.
Zweifellos haben die geballte Wucht der Sanktionen und das Regime Saddams für die Menschen im Irak eine düstere Zeit in den 90er Jahren bedeutet. Die Hauptschuld trägt vornehmlich Saddam Hussein, der nicht nur ein gewaltsames Regime anführte, sondern darüber hinaus auch den Zorn der Welt auf sein Land zog — zuerst beim Einmarsch in Kuwait und danach, als er die Kooperation mit den UNO-Waffeninspektoren verweigerte. Das "Öl-für-Nahrung"-Programm war ein Versuch, der irakischen Bevölkerung einige der gravierendsten Härten zu ersparen, die ihre politische Führung ihnen bereitete. Ohne Zweifel hätte es besser angelegt und umgesetzt werden können. Aber seine Hauptaufgabe hat das Programm erfolgreich erfüllt.
*Der Autor ist Kommunikation-Direktor im Büro des UNO-Generalsekretärs.