ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas: der Jolly Joker seiner Partei, die ihn nie geliebt hat.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Im EU-Wahlkampf betreten die Protagonisten nun nach und nach die Bühne. Einer der Schlüsselrollen bis zum Votum am 25. Mai wird Othmar Karas spielen. Der Spitzenkandidat der ÖVP hat am Dienstag sein Personenkomitee für die Wahl vorgestellt. Diesem gehören unter anderem die Schauspieler Peter Simonischek und Brigitte Karner, Nationalbank-Präsident Claus Raidl, Philharmoniker-Cellist Franz Bartolomey und Journalist Rudolf Nagiller an. Damit stellte Karas ein weiteres Mal unter Beweis, dass er seine Fühler weit über die ÖVP hinausstreckt. Kein Wunder. Denn sein Verhältnis zur eigenen Partei könnte ambivalenter nicht sein. Der ewig strebsame, anfangs noch von den Strukturen der Partei behütete und zugleich wenig charismatische Politiker ging seinen Weg durch die Instanzen - und bekam doch oft innerparteilich eine auf den Deckel. Doch das bestärkte ihn nur. Und als eine Art Kollateralgewinn kompensierte dieser Kampf gegen die inneren Kräfte das Manko an Charisma und Strahlkraft.
Ein Affront namensErnst Strasser
Bei der EU-Wahl 2009 bewies der damalige ÖVP-Chef Josef Pröll - ganz seinem Onkel Erwin Pröll hörig - ein besonders geschicktes Händchen und setzte Karas den verurteilten (nicht rechtskräftig) ÖVP Niederösterreich-Zögling Ernst Strasser vor die Nase. Was machte Karas? Er startete als Nummer zwei einen fulminanten Vorzugsstimmenwahlkampf und mobilisierte, wie es selten zuvor ein Kandidat auf Platz zwei schaffte, die ÖVP-Wähler. Die Partei landete klar auf Platz 1.
2012, Strasser saß schon auf der Anklagebank, schwang sich Karas zum Vizepräsidenten und damit zu einem er mächtigsten EU-Parlamentarier auf. Trotzdem war es keineswegs ausgemacht, dass Prölls Nachfolger, Michael Spindelegger, ihn für die EU-Wahl als Spitzenkandidat ins Rennen schicken würde. Dass Karas mit einer eigenen Liste antritt - und das wäre dem Kämpfer zuzutrauen gewesen -, konnte Spindelegger aber nicht riskieren: Er setzte halbherzig auf Karas. Der hatte seine Machtposition erkannt und erhielt freie Hand für seinen Wahlkampf; das ÖVP-Logo findet sich nicht auf Wahlplakaten. Das könnte sich als goldrichtige Strategie erweisen - nicht zuletzt für die ÖVP selbst. Denn wäre heute Nationalratswahl, würde die Volkspartei tief abstürzen. Nach Hypo und Obmann-Debatten ist die Partei im Umfragekeller. Und nun steht auch noch ein Blut-, Schweiß- und Tränen-Budget an, das Spindelegger den Menschen verkaufen muss. Die Debatte um 50 Millionen Euro, die bei der Bildung einzusparen sind, war nur der Vorbote. Das Aufwärtspotenzial für die ÖVP ist derzeit so rar wie mehr Geld für Bildung. Trotzdem hat die Spindelegger-ÖVP bei der EU-Wahl Chancen auf Platz 1 - wegen Othmar Karas.
Chancen auf Platz 1durchaus intakt
"Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass schon wieder Karas Retter der eigenen Partei werden kann, die ihn nicht so gerne mag", sagt Politikberater Thomas Hofer. "Der Kampf um Platz 1 ist nicht entschieden, aber die Chance für die ÖVP, diesen - mit Verlusten - zu halten, ist absolut intakt", sagt Hofer.
Er glaubt sogar, dass Karas die ÖVP-Reihen gegenüber den angreifenden Neos ein Stück weit schließen kann. Aber wie weit? Die Neos sind die zweiten Darsteller im Rampenlicht der EU-Wahlbühne. Gegenüber ihres Ergebnisses von fünf Prozent bei den Nationalratswahlen können sie nur gewinnen. Doch werden sie zweistellig? Schaffen Sie es gar, die Grünen zu überholen? Gelingt das, sieht Hofer Feuer am Dach der Grünen. Deswegen muss Eva Glawischnig persönlich in den Wahlring steigen und kann ihn nicht der Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek überlassen. Die ist zwar fachlich sehr kompetent und erfahren, jedoch ohne die nötige Strahlkraft. Und auch der Globalisierungskritiker, die wahrscheinliche Nummer zwei Michel Reimon, ist über das Universum von Facebook und Twitter hinaus nur mäßig bekannt.
Eugen Freund alsgroße Unbekannte
Feuer am Dach von SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann ist dann, wenn Eugen Freund sich nicht als das Zugpferd mit Promi-Turbo herausstellt. Denn Freunds Kandidatur ist eine Erfindung des Kanzleramtes. Und bei der starken Wählergruppe der Pensionisten könnte das Kalkül tatsächlich aufgehen. Wenn nicht, muss Faymann ein schwaches Abschneiden ausbaden. Und er steht derzeit ohnedies unter Druck der mächtigen Gewerkschaft. "Die immer streng loyale Gewerkschaft muckt derzeit wirklich auf. Die geballte Faust hat sie schon lange in der Tasche", sagt Hofer. Die Nervosität ist deswegen so groß, weil 2015 Schicksalwahlen in Wien, der Steiermark und Oberösterreich anstehen. Hofer: "2015 steht für die SPÖ mehr am Spiel als für die ÖVP."
In Wien muss sie den heranrückenden FPÖ-Strache in Schach halten. Der hat, was die EU-Wahl betrifft, wohl rechzeitig die Reset-Taste gedrückt und den umstrittenen Spitzenkandidaten Andreas Mölzer nach seinen ungustiösen Sagern abgezogen.
Nun kann sich Strache noch einen Monat lang auf die Sparpläne der Regierung einschießen und einen Oppositionsbonus einheimsen. Die schwerste Hürde für den FPÖ-Chef wird es, seine Leute an die Urnen zu bringen. Denn EU-Fans gehen eher zur Wahl als EU-Gegner. Über 20 Prozent sieht Hofer aber als machbar. Der blaue Erfolg misst sich daran, ob es Strache schafft, den Urnengang zur nationalen Denkzettelwahl umzudeuten. Hofer sieht die Wahl fast ausschließlich innenpolitisch dominiert. Der Politikberater erwartet wegen der anstehenden Streitereien ums Steuergeld eine "mit innenpolitischen Knallern geradezu aufgeladene Wahl". Für wen am 25. Mai die Sektkorken knallen, ist noch lange nicht absehbar.