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"Okkupanten" gegen "Faschisten"

Von Alexander Dworzak aus Riga

Politik

In Lettland sind mehr als 25 Prozent der Bevölkerung ethnische Russen. | Der Konflikt um die Ukraine beschäftigt die Menschen, die Polarisierung zwischen den Volksgruppen hält an.


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Riga. "Sollt ich einmal fallen nieder, so erbauet mich doch wieder", lautet eine Inschrift im Schwarzhäupterhaus in Riga. Das 1334 im gotischen Stil errichtete Gebäude ist der Stolz der ehemaligen Hansestadt. Doch bei der prachtvollen rot-weißen Fassade des Hauses, vor dem der lettische Staatspräsident Andris Berzins seinen Amtskollegen Heinz Fischer bei dessen Baltikum-Visite in Empfang nahm, handelt es sich nicht um ein Original. Wie alle anderen Gebäude auf dem Rigaer Rathausplatz wurde das Schwarzhäupterhaus im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland in Schutt und Asche gelegt. Daran erinnert der Verweis "Renov. Anno 1999" an der Fassade, aber noch viel mehr der Betonbunker gegenüber: Er wurde 1970, zum 100. Geburtstag Lenins, errichtet. Heute befindet sich in dem Gebäude das "Museum der Okkupation Lettlands". Dessen Zusatz, die Jahreszahlen 1940 bis 1991, verraten jedoch, dass weniger die NS-Zeit als die jahrzehntelange Sowjetherrschaft dort verhandelt wird. Das Erbe der UdSSR hinterlässt bis in diese Tage tiefe Gräben in der lettischen Gesellschaft.

27 Prozent der Letten sind ethnische Russen. Zählt man andere frühere Sowjet-Bürger und deren Nachkommen hinzu, sind nur knapp weniger als zwei Drittel der rund zwei Millionen Einwohner des baltischen Landes ethnische Letten. Anders als Nachbar Litauen hat Lettland nach Wiederlangen seiner Unabhängigkeit 1990 die Russen nicht automatisch eingebürgert, sie müssen sich zur Erlangung einem Einbürgerungsverfahren stellen, für das unter anderem Lettisch-Kenntnisse gefordert werden. Bis heute sind daher 13 Prozent der Einwohner Lettlands sogenannte "Nichtbürger". Sie besitzen keinen lettischen Pass, dürfen nicht wählen und nicht im Staatsdienst arbeiten.

Dementsprechend aufmerksam verfolgt man im Nordosten Europas - alle drei baltischen Staaten sind EU- und Nato-Mitglieder - die Krise um die Ukraine. Oft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. "Die russischsprachigen Medien im Land haben größtenteils aus Putins Sicht berichtet", sagt Anda Spigule. Die Reiseleiterin konstatiert ein Nebeneinander, kein Miteinander zwischen den Volksgruppen im Land: "Vielen Letten gelten die Russen als Okkupanten, während Russen umgekehrt Letten als Faschisten bezeichnen", erzählt die 62-Jährige.

Kollaboration mit NS-Regime

Denn ein Teil der Letten begrüßte die Eroberung des Landes durch das NS-Regime 1941, da dadurch die Sowjets zwischenzeitlich vertrieben wurden. Spigule betont, sie selbst trenne strikt zwischen jenen Russen, die sich bereits während der Zarenzeit niedergelassen haben und oft pro-lettischer seien als die ethnischen Letten. Doch die unter Sowjetherrschaft zugezogenen, viele davon frühere KGB-, Armee- und Marinemitglieder, könnten sich mit dem Untergang der UdSSR nicht abfinden und geben ihre Ideologie an die Nachfahren weiter.

Fehlende Integrationsbereitschaft von Russen bemängelt Signe Rina. "Viele halten es nicht für notwendig, die lettische Sprache zu erlernen, sie verlassen sich lieber darauf, dass andere Russisch können", sagt die Dame mit Hipster-Brille, die Kleidung und Accessoires junger lettischer Designer verkauft. Rina stammt aus einer Gegend, in der nicht Russisch gesprochen wird, lernte auch nicht Russisch in der Schule und hat daher im gemischtsprachigen Riga gelegentlich Verständigungsprobleme. Ganz anderer Meinung ist dagegen Anita Kirkowa: "Mein Mann ist Russe. Er hat selbstverständlich Lettisch gelernt", sagt die Betreiberin eines Souvenirladens in Rigas Innenstadt.

Während in der Sowjetzeit Russisch Pflichtfach an den Schulen war, ist Englisch nun die erste Fremdsprache. Erst danach kann man zwischen Deutsch und Russisch wählen, Französisch rangiert bereits abgeschlagen in der Beliebtheitsskala. Trotz der weiten Verbreitung ist Russisch keine offizielle Amtssprache. Drei Viertel der Bevölkerung stimmten 2012 gegen einen entsprechenden Antrag - das Votum fiel auch deswegen so deutlich aus, weil die "Nichtbürger" nicht stimmberechtigt waren.

Im gesamten Baltikum kämpfen die Regierungen mit dem Problem, dass die russischsprachige Bevölkerung sich gerne über die Moskauer - und somit Kreml-treuen - Fernsehstationen informiert beziehungsweise - nach Lesart von Estland, Lettland und Litauen - desinformiert wird. Die lettische Sicherheitspolizei meldete in ihrem Jahresbericht für 2013, Russland habe sich systematisch bemüht, den kleinen Nachbarstaat international in Verruf zu bringen. Zudem werde bewusst versucht, die lettische Gesellschaft zu spalten. Eine geplante Gegenmaßnahme ist ein gemeinsam von Estland, Lettland und Litauen betriebener TV-Kanal für die russischsprachige Bevölkerung, in dem nicht aus Putin-Perspektive berichtet werden soll.

Für Souvenirladen-Betreiberin Kirkova ist die Kontroverse zwischen Letten und Russen politisch motiviert. "Die Beziehungen sind normal. Auch die Krise um die Krim hat kein Misstrauen zu den Russen geschaffen, höchstens zur Politik Russlands. Die Parteien wollen sich aber auf Kosten der anderen Sprachgruppe profilieren." Tatsächlich werden die Fronten auf beiden politischen Seiten härter. Die 2005 gegründete und russlandfreundliche Partei "Harmonisches Zentrum" stieg bei der Parlamentswahl vor drei Jahren zur stärksten Kraft auf.

Sie nimmt dort 31 von 100 Sitzen ein. Regierungsverantwortung übernehmen kann die linke Gruppierung des russischstämmigen Nils Usakovs jedoch auch deswegen nicht, weil die lettisch dominierten Parteien eine Koalition verweigern. Die Regierungsgeschäfte führt eine Mitte-Rechts-Koalition aus vier Parteien; unter ihnen ist auch die rechtspopulistische "Nationale Allianz", die im Europaparlament in einer Fraktion mit den britischen Tories und der polnischen "Recht und Gerechtigkeit" vertreten ist. Die "Nationale Allianz" konnte ihren Stimmanteil bei der letzten heimischen Parlamentswahl von 7,7 auf 13,9 Prozent steigern.

Keine russischen Freunde

Angesichts einer Arbeitslosenquote von knapp zehn Prozent und einem Durchschnittsverdienst von 680 Euro pro Monat - wobei mehr als ein Viertel der Bevölkerung lediglich den Mindestlohn von 290 Euro erhält - kann ethnischer Populismus als Ablenkung für ökonomische Unzufriedenheit dienen. Zwar ist Lettland seit Jahresbeginn auch Mitglied der Eurozone und das Wirtschaftswachstum mit rund vier Prozent das höchste in der EU, aber im vergleichsweise jungen Staat ist noch viel Aufbauarbeit vonnöten. Das betrifft auch den Austausch zwischen jungen Letten und ethnischen Russen: "Ich habe kein Problem mit den Russen, beherrsche auch die Sprache", erzählt Madara Zute, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Signe Rina in dem Design-Laden arbeitet. Russische Studienkollegen oder Freunde habe sie dennoch nicht: "Es hat sich nicht ergeben. Letztlich sind wir immer automatisch in Gruppen gestanden, die nach der Muttersprache getrennt waren."