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Ökologie der Aufmerksamkeit

Von Adrian Lobe

Gastkommentare
Adrian Lobe studiert Politik- und Rechtswissenschaft und ist freier Journalist in Tübingen.

Handy, E-Mail, Internet: Im Minutentakt prasseln Informationen auf uns ein. Ständig sind wir auf Draht oder im Netz. Wir können uns nicht erwehren.


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Die perfide Logik des Internets will es, dass wir ständig online sind. Auch wenn wir für ein paar Tage verreisen oder uns dem Netz entsagen, werden wir danach mit seinem unsäglichen Imperativ konfrontiert: beachten und abarbeiten! So geraten wir in ein Fahrwasser, in dem uns die stupende Geschwindigkeit des Netzes vor uns hertreibt. Ob wir wollen oder nicht - wir müssen mitschwimmen.

Die Informationsflut, die sich durch unseren Alltag wälzt, droht unseren Verstand zu vereinnahmen. Es scheint, als verlören wir bisweilen die Orientierung. Dabei hat das Gehirn eigens einen Selektionsmechanismus entwickelt, um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Tag sehen wir Bilder von Menschen und Ereignissen. All das wird gefiltert und eingeordnet. Das Gehirn speichert nur das Wichtige. In der virtuellen Welt wird diese Trennung außer Kraft gesetzt. Uns fällt es schwer zu eruieren, was wichtig und unwichtig ist.

Darum brauchen wir eine Ökologie der Aufmerksamkeit. Uns muss es gelingen, Qualität von Quantität zu trennen. Wir müssen unsere Konzentration wieder auf das Wesentliche lenken. Denn: Die Informationen können nicht in Gänze rezipiert werden. Es ist der Irrglaube des Informationszeitalters, alles zu erwidern. Es gilt, unsere Aufmerksamkeitsressourcen zu schonen. Innehalten statt hinterherhecheln. Nicht das Internet darf den Takt bestimmen, sondern wir.

Der Imperativ der ständigen Informiertheit ist eine Illusion. Wir können gar nicht auf der Höhe der Zeit sein. Das Internet wird uns immer einen Schritt voraus sein. Der rationale Mensch darf an diesem irren Wettrennen nicht partizipieren. Im digitalen Zeitalter gilt die Devise: Wer rastet, der rostet nicht, sondern reflektiert - und erfrischt damit den Geist.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das Internet ist nicht des Teufels. Es schafft Transparenz und ist ein riesiger Wissensspeicher. Über das Netz können wir binnen weniger Sekunden mit anderen Kontinenten kommunizieren. Das Internet erlaubt es uns, Informationen zu erschließen, die uns früher faktisch unzugänglich waren. Gleichwohl hat die Globalität des Netzes auch Nachteile. Das Internet ist bis in die entlegensten Winkel unseres Privatlebens vorgedrungen. Wir vertrauen dem Netz Daten an, wickeln Geschäfte ab, versenden Nachrichten. Ohne das Internet geht fast nichts mehr. Das macht uns abhängig - und angreifbar.

Das Internet zu ignorieren, können wir uns freilich nicht leisten. Wir können aber zurückhaltend mit ihm umgehen, Inhalte bewusst ignorieren, den Puls der Zeit verlangsamen: Fortschritt durch Entschleunigung. Es sind immer noch wir selbst, die über unseren Wahrnehmungshaushalt befinden. Wir müssen uns vom Zwang befreien, jedem Signal zu entsprechen. Und wir sollten uns die Freiheit herausnehmen, zu sagen: Das interessiert mich nicht, das beachte ich nicht. Um die Informationsflut einzudämmen und die Privatsphäre zu wahren, müssen wir denknotwendig auf Desinformation setzen. Nur so gewinnen wir die Oberhand. Und nur so lässt sich das Internet gewinnbringend nutzen.