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Ökonomische Gerechtigkeit - gibt’s die?

Von Erhard Fürst

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Statt auf die Einkommens- und Vermögensverteilung als Ergebnis des Wirtschaftsprozesses zu starren, sollte sich die Politik auf die Schaffung von Chancengleichheit konzentrieren.


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Für den Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich von Hayek war Gerechtigkeit ein "Wieselwort", weder definierbar noch praktisch greifbar. Ein idealer Begriff für die Politik: weithin positiv besetzt und doch verwaschen genug, um die Zielerreichung einer "gerechteren Gesellschaft" unüberprüfbar zu machen.

Hier geht es um die ökonomische Dimension der Gerechtigkeit. Für eine umfassende Darstellung des Gerechtigkeitsbegriffs sei auf das wunderbare Buch des österreichischen Mathematikers Rudolf Taschner verwiesen: "Gerechtigkeit siegt - aber nur im Film".

Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind nicht objektivierbar, sondern zeit- und ortsgebunden vom Bewusstsein und Gefühl der Menschen bestimmt. Sklaven- und Leibeigenenwirtschaft wurden lange Zeit nicht als ungerecht empfunden, ebenso wenig der Luxus von Adeligen oder gottähnlichen Herrschern.

Heute dagegen wird es in unseren Breiten jedenfalls als ungerecht empfunden, wenn Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht decken können und vom sozialen Leben ausgeschlossen sind.

Gerechtigkeit steht in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis zur Freiheit. Da Menschen mit unterschiedlichen Veranlagungen und Biographien ausgestattet sind, sind sie in einer freien Wirtschaft unterschiedlich erfolgreich; es kommt notwendigerweise zu einer ungleichen Wohlstandsverteilung.

Andererseits ist jeder Eingriff zur Veränderung dieser Verteilung mit einer Freiheitsbeschränkung verbunden, die bis zum Kommunismus führen kann.

Gerechtigkeit steht allerdings auch in einem Spannungsverhältnis zur Gleichheit, eingefangen in dem Begriffspaar Leistungs- versus Verteilungsgerechtigkeit.

Ungleichheit immanent

Kann es gerecht sein, dass alle ökonomisch gleichgestellt werden, unabhängig von ihrer Leistung? Genau in diese Richtung tendiert aber die unreflektierte Forderung nach stetiger Umverteilung von den Wohlhabenderen zu den Ärmeren.

Der Marktwirtschaft - auch der sozialen - ist Ungleichheit wesensimmanent. Nur Ungleichheit bietet die Chance zu sozialem Aufstieg und schafft den nötigen Anreiz zu Leistung, Innovation und damit zur Vergrößerung des zur Verteilung bereitstehenden Kuchens.

Statt gebannt auf die Einkommens- und Vermögensverteilung als Ergebnis des Wirtschaftsprozesses zu starren, sollte sich die Politik auf die Schaffung von Chancengleichheit konzentrieren, und das bedeutet in der Wissensgesellschaft im Wesentlichen Gleichheit der Bildungschancen.

Last but not least: Im Zeitalter der Globalisierung und der Mobilität von Kapital und Menschen verengt sich auch der nationale Spielraum zur Verwirklichung von "Gerechtigkeit", und die Gerechtigkeitsvorstellungen konvergieren weltweit.

Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Wirtschaft und Industriepolitik in der Industriellenvereinigung.

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.