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Ökonomischer Wunderwuzzi

Von Alexander U. Mathé

Politik

In den fünf Jahren seiner Regierung hat der britische Premier David Cameron für einen Wirtschaftsaufschwung gesorgt.


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London/Wien. Wirtschaftswachstum, Sanierung des Staatshaushalts, Senkung der Arbeitslosenrate: Es waren gewagte Versprechen, die Premierminister David Cameron und sein Vize Nick Clegg im Mai 2010 - mitten in der Wirtschaftskrise - dem britischen Volk gaben. Nach der Wahl zu einer im Vereinigten Königreich seltenen Koalition gezwungen, erklärten der Chef der Konservativen einerseits und jener der Liberaldemokraten andererseits, man werde das Land in Richtung eines ökonomischen Dorados lenken. Betrachtet man heute die Wirtschaftsdaten Großbritanniens, zumal im Vergleich mit dem Rest Europas sowie anderen Industrieländern, so muss man zum Schluss kommen: Die beiden haben Wort gehalten.

2,8 Prozent Wirtschaftswachstum hat Großbritannien 2014 aufzuweisen und lässt damit das Gros der anderen Industrieländer vor Neid erblassen. Österreich weist lediglich 0,3 Prozent auf, Deutschland 1,6 und selbst die wiedererstarkten USA kommen mit 2,4 Prozent nicht an ihre Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks heran.

Ungleichheit bei Einkommen gesunken

Wer auf der Suche nach der Kehrseite der Medaille auf den Gini-Koeffizienten zurückgreift, wird überrascht. Dieser Koeffizient gibt an, wie ungleich die Einkommen in einem Land oder einer Region verteilt sind - je höher, desto ungerechter. Im Falle des Vereinigten Königreichs ist diese Zahl seit 2010 drastisch gesunken. Damals hielt sie noch bei 32,9; 2013 lag man dann mit einem Wert von 30,2 sogar knapp unter dem EU-Durchschnitt von 30,5. (Zum Vergleich: Österreich liegt bei 27 und Griechenland bei 34,4).

Dabei hatte sich das Königreich in den 1980er Jahren einen fragwürdigen Spitzenplatz bei der weltweiten Einkommensungleichheit erkämpft, eine Spitzenposition, die das Land bis zum Beginn der Ära Cameron nicht abgegeben hat. Überraschend ist das gute Abschneiden beim Ungleichheits-Vergleich auch deshalb, weil eine der Strategien von Camerons Regierung darauf abzielte, den Reichen zu helfen: Der Spitzensteuersatz wurde gesenkt, ebenso die Körperschaftssteuer, dafür wurde eine rigide Sparpolitik betrieben und die Löhne von Arbeitern gesenkt.

Auch von der Arbeitsfront kann Cameron Siege am laufenden Band melden. Zwischen Jänner 2014 und Jänner 2015 ist die Zahl der Arbeitslosen unter der aktiven Bevölkerung von 7,2 Prozent auf 5,6 Prozent gesunken. Besonderen Wert erhält dies dadurch, dass die aktive Bevölkerung in den letzten Jahren gewachsen ist. In gut einem Jahr wurden in Großbritannien mehr als 600.000 neue Arbeitsstellen geschaffen - "1000 pro Tag; genauso viel wie im Rest der EU zusammen", verkündete ein stolzer David Cameron.

Armutsgefährdung hat zugenommen

Erst, wenn man im sozialen Feld etwas tiefer bohrt, stößt man auf die Schattenseiten von Camerons Politik: Die Zahl der von Armut bedrohten Personen ist laut europäischem Statistikamt von 14,2 Millionen im Jahr 2010 auf 15,6 Millionen im Jahr 2013 gestiegen.

Die an sich schon exorbitanten Immobilienpreise explodierten. Die Zahl jener, die sich ein Eigenheim leisten konnten sank drastisch. Waren noch vor zehn Jahren 59 Prozent der 25- bis 34-jährigen Briten Eigentümer ihrer Unterkunft, so betrug dieser Prozentsatz 2014 nur mehr 36 (in Österreich sind knapp 38 Prozent der 25- bis 29-jährigen Eigentümer einer Immobilie). Gleichzeitig tut die britische Regierung nur wenig dafür, Wohnraum zu schaffen. Schätzungen zufolge liegt der Bedarf des Vereinigten Königreichs bei etwa 250.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Unter Cameron wurden 2012 bis 2013 nur 135.000 gebaut - der niedrigste Wert seit dem Zweiten Weltkrieg.

Ambivalent ist auch die Meldung, dass seit vergangenem Jahr das britische Durchschnittsgehalt endlich stärker wächst als die Inflation. Denn der Kaufkraftverlust der letzten sechs Jahre ist damit noch lange nicht kompensiert. Das Office for Budget Responsibility - eine Art britischer Rechnungshof - schätzt, dass selbst in fünf Jahren noch das mittlere reale Einkommen unter jenem von 2007 liegen wird.

In Sachen Staatshaushalt braucht sich Cameron nicht zu verstecken, auch wenn hier noch einige Baustellen offen sind. "Unsere Wirtschaftspolitik funktioniert, aber die Arbeit ist noch weit entfernt davon, erledigt zu sein", erklärte Finanzminister George Osborne bei der Präsentation des heurigen Budgets. Für 2015 hat seine Regierung ein Defizit in Höhe von vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts veranschlagt. Diese Zahl bleibt zwar hinter dem anvisierten Ziel des Nulldefizits zurück, schlägt aber bei Weitem die zehn Prozent von 2010. Die Null soll dann in der kommenden Legislaturperiode stehen, so ihm die Wähler die Chance dazu geben. So wie die Dinge stehen, ist das eine Ankündigung, die man ihm wohl abnehmen kann.

Bei Immigration Versprechen gebrochen

Nicht gehalten hat Cameron hingegen sein Versprechen, was eine Reduktion der Immigration "ohne Wenn und Aber" betrifft. Weniger als 100.000 Personen sollten in das Vereinigte Königreich pro Jahr einwandern können, 300.000 sind es. Eine "Niederlage", die der Premierminister bereits eingestanden hat.

Doch Cameron hat sich nicht nur auf wirtschaftliche und finanzielle Faktoren konzentriert. Besonders stolz ist der Premier darauf, dass ausgerechnet er als Konservativer in Großbritannien die Homo-Ehe eingeführt hat.

Nicht im Vorfeld versprochen, aber dafür den Schotten einen Herzenswunsch erfüllt hat Cameron mit dem Unabhängigkeitsreferendum. Das ging negativ aus und stärkte so die Einheit des Königreichs. Dafür sorgt er nun für Angst um die Stabilität der Europäischen Union, indem er eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt der Insel in Aussicht gestellt hat. Ob hier ein Ja der britischen Wirtschaft zuträglich wäre, ist jedoch mehr als fraglich.