Noch bis Freitag können die SPD-Mitglieder über den neuen Vorsitz abstimmen. Der größte Siegesdruck lastet auf Deutschlands Finanzminister.
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Mit Unterbrechungen präsentierte Hans-Joachim Kulenkampff 23 Jahre lang die Unterhaltungssendung "Einer wird gewinnen" (EWG), zwischen 1964 bis 1987. Damals herrschten goldene Zeiten für die SPD, fielen doch die Kanzlerschaften von Willy Brandt und Helmut Schmidt darunter. Und auch wenn sie in Opposition war, niemals lag die deutsche Sozialdemokratie bei einer Bundestagswahl unter 37 Prozent.
Als Kulenkampff von der EWG-Bühne abtrat, war Olaf Scholz stellvertretender Vorsitzender der Jungsozialisten und warb für die "Überwindung der kapitalistischen Ökonomie". Heute ist er so pragmatisch, dass nicht wenige einen verkappten Konservativen in ihm sehen. Die Partei ist derweil laut Umfragen auf 14 Prozent geschrumpft. Nun greift Scholz nach dem SPD-Vorsitz. Für ihn gilt in Anlehnung an Kulenkampff: Einer muss gewinnen.
Lange hat er sich gegen eine Kandidatur gewehrt und auf seine Aufgabe als Finanzminister der Bundesrepublik verwiesen. Erst als lediglich weithin unbekannte Personen ihr Interesse am Vorsitz bekundeten und die öffentliche Kritik daran immer größer wurde, gab sich Scholz einen Ruck. Verliert er nun, wäre seine Stellung im schwarz-roten Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel untergraben.
Dieses Problem hat Klara Geywitz nicht. Die Landtagsabgeordnete aus Brandenburg tritt mit Scholz an. Da nach der Kurzzeit-Vorsitzenden Andrea Nahles wieder eine Frau die Sozialdemokraten zumindest mitanführen soll, haben sich Zweierteams gebildet. Bei keinem ist das Bekanntheitsgefälle so groß wie bei Scholz und Geywitz.
Die anderen Kandidaten müssen nichts mehr oder nicht unbedingt jetzt etwas werden. Fünf weitere Gespanne stehen zur Wahl: Die Politologin Gesine Schwan tritt mit Parteivize Ralf Stegner an, die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius. Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Bundestags-Kollegin Nina Scheer bilden ebenso ein Duo wie der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, und die Landtagsabgeordnete Christina Kampmann. Und Nordrhein-Westfalens früherer Finanzminister Norbert Walter-Borjans kandidiert mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken.
Was passiert mit der GroKo?
Insbesondere auf letzgenanntem Duo ruhen die Hoffnungen jener, die das Wohl der SPD in der Opposition sehen. Prominenter Unterstützer ist Jungsozialisten-Chef Kevin Kühnert, der von Anfang an gegen die seit 2018 amtierende große Koalition in Berlin gewettert hat. Zwei Drittel der Parteimitglieder sprachen sich aber für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU aus.
Auch wenn die Regierung laut Bertelsmann-Stiftung bereits 60 Prozent ihres Programmes abgearbeitet hat, bei den Bürgern ist vor allem der Streit zwischen den drei Parteien hängengeblieben. Zuletzt war es das Hickhack um das Klimaschutzpaket. Aktuell geht es um die "Grundrente", einen Pensionsaufschlag für jene, die mindestens 35 Jahre für geringen Lohn gearbeitet oder sich um Angehörige gekümmert haben. Die SPD will keine Bedürftigkeitsprüfung für die Auszahlung. Das lehnt die Union ab.
Mangels eines Kompromisses wurde die von der Regierung zusammengestellte Halbzeitbilanz kurzfristig verschoben. Deren Ergebnisse bilden eine Entscheidungsgrundlage, ob die SPD weiter in der bis 2021 angesetzten Regierung bleibt oder vorzeitig abspringt - was Scholz im Kanidatenrennen zwar nicht ausgeschlossen hat, aber nicht in seinem Sinn wäre. Mit einer Einigung zur Grundrente im Rücken soll nun im November guter Wind für die Fortsetzung der GroKo gemacht werden.
Da trifft es sich gut, dass für Mitte November die Stichwahl angesetzt ist, sollten die 430.000 SPD-Mitglieder bei der bis zum späten Freitagabend laufenden Abstimmung kein Kandidatenpaar mit absoluter Mehrheit wählen. Entscheiden sich die Genossen für Scholz, will die Partei aber kurz darauf aus der Koalition, stehen Neuwahlen bevor. Der von der SPD-Linken so erhoffte Neustart wäre vertagt. Und der spröde Scholz eine Vorgabe als Spitzenkandidat im Wahlkampf. Dann hätte niemand gewonnen.