Warum es nicht sinnvoll ist, Russlands Superreichen ihre Jachten und Villen wegzunehmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Michael Friedman (57), Eigentümer des russischen Konglomerates Alfa Group, ist das, was man im Westen einen richtigen Oligarchen nennt: stinkreich und mit erstklassigen Beziehungen in den Kreml versehen. Weshalb er seit ein paar Wochen auch auf der Liste der zu sanktionierenden Personen der EU steht. Dass er von den Sanktionen gegen sich und seinesgleichen nichts hält, überrascht wenig. Bemerkenswert freilich ist seine Begründung: "Wenn die Verantwortlichen in der EU glauben, dass ich wegen der Sanktionen auf Wladimir Putin zugehen und ihm sagen könnte, er solle den Krieg beenden, und es würde funktionieren, dann fürchte ich, dass wir alle in großen Schwierigkeiten stecken", sagte er zu "Bloomberg News". "Das bedeutet nämlich, dass diejenigen, die diese Entscheidung treffen, nichts davon verstehen, wie Russland funktioniert. Und das ist gefährlich für die Zukunft."
Tatsächlich sind immer mehr Russland-Kenner skeptisch, ob der Druck, den der Westen auf die Oligarchen ausübt, irgendeinen erkennbaren Sinn macht. Zwar ist es seit Putins Überfall zu einer Art Volkssport für Politiker mit gut entwickeltem populistischen Gespür für das nachvollziehbare Revanchebedürfnis der Bevölkerung angesichts der Gräuel der Russen in der Ukraine geworden, den superreichen Russen ihre Megajachten und Protzimmobilen wegzunehmen. Aber dass diese deshalb Putin dazu bringen können, den Krieg zu beenden, ist eher unwahrscheinlich.
Warum das so ist, erklärt Eileen O’Connor, langjährige Chefin des CNN-Büros in Moskau, schlüssig in einer Analyse für die "New York Times": Es sei ein typisch westlicher Trugschluss, vom ja tatsächlich vorhandenen politischen Einfluss sehr Reicher in westlichen Demokratien auf Russland zu schließen. Denn in Putins Reich gibt es weder garantierte Eigentumsrechte noch unabhängige gerichtliche Strukturen, um diese notfalls gegen die Staatsmacht durchzusetzen, weshalb auch die Superreichen völlig abhängig von der politischen Macht - also Putin - sind.
So war Michail Chodorkowski einst Russlands reichster Mann - bis er Putin kritisierte. Darauf war er sein gesamtes Vermögen los und um die Erfahrung einer zehnjährigen Haftstrafe reicher. So viel zur Macht der Superreichen in Russland - und zu ihrem Einfluss auf den Kreml.
Wollte der Westen tatsächlich die unmittelbare Umgebung Putins unter Druck setzen, wären wohl eher jene einstigen KGB-Kader, denen Putin verbunden ist und die an den Schaltstellen der Energiewirtschaft sitzen, geeignete Ziele. Doch um die gegen ihren Herrn aufzubringen, gibt es nur einen Weg: Russlands Öl und Gas zu boykottieren. Das freilich hätte extrem widrige Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der EU; ein Schmerz, der offenbar bei aller Barbarei in der Ukraine inakzeptabel ist. Da ist es natürlich wesentlich einfacher und vor allem schmerzloser, öffentlichkeitswirksam Oligarchen ihre Spielzeuge wegzunehmen und damit jene Putin-Experten in den Sozialen Medien zufriedenzustellen, die vor ein paar Wochen noch Fachleute für Corona waren.
Nicht das Erreichte zählt bekanntlich, das Erzählte reicht.