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Oligarchen im Wettlauf mit Westminster

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Die Regierung in London fürchtet die Kapitalflucht reicher Russen.


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Zwanzig Jahre lang hielt Roman Abramowitsch seine Besitztümer in London für absolut sicher vor allem Zugriff. Die Themsestadt war für den 55-Jährigen, wie für so viele andere superreiche Russen der nachsowjetischen Ära, eine unangreifbare Schatzkammer, ein fester Hort.

Nun aber, seit Russland in der Ukraine eingefallen ist, kann es dem prominentesten Oligarchen "Londongrads" mit dem Abstoßen seiner Immobilien und Geschäfte nicht schnell genug gehen. Im Eilverfahren sucht Abramowitsch jetzt seinen Londoner Fußballklub, den Chelsea FC, zu verkaufen. 3 Milliarden Pfund soll der Verkauf einspielen. Die 1,5-Milliarden-Schuld, die der Klub bei Abramowitsch hat, ist dieser abzuschreiben bereit.

Wohltätige Gabe

Hauptsache, das Ganze läuft in Rekordzeit, ohne Verzögerung. Zugleich scheint Abramowitsch auch andere seiner "Objekte" auf den Markt gebracht zu haben - wie sein herrschaftliches Anwesen in Kensington Palace Gardens, nahe Kensington Palace, das inzwischen 150 Millionen Pfund wert soll, sowie diverse Luxusappartements.

Was Chelsea angeht, soll der Verkaufserlös als wohltätige Gabe an "Opfer des Kriegs in der Ukraine" gehen.

Nicht nur Abramowitsch ist von den Folgen der russischen Invasion in der Ukraine in sichtliche Panik versetzt worden. Der Herausgeber des Londoner "Evening Standard", Evgeny Lebedev, fürchtet wie sein Landsmann, dass ihm die Herkunft seines Vermögens zum Verhängnis werden kann. Diese Woche richtete Lebedev auf der Frontseite des "Standard" in Riesenlettern "die dringliche Bitte" an den russischen Präsidenten, "diesen schrecklichen Konflikt (in der Ukraine) zu einem Ende zu bringen".

Auch eine Reihe anderer Oligarchen mit kommerziellen Interessen in London sprachen, ohne Putin je direkt zu kritisieren, in den letzten Tagen ihre verzweifelte "Hoffnung" auf ein baldiges Ende der Kämpfe aus. Milliardäre wie Mikhail Fridman, einer der reichsten Männer Russlands mit beträchtlichen Liegenschaften in London, finden sich plötzlich unter enormem Druck.

Am späten Donnerstagabend wurde bekannt, dass die Regierung mit Alisher Usmanov erstmals einen Oligarchen auf die Sanktionsliste gesetzt hat, der in Großbritannien selbst Besitzungen und wohl auch einen festen Wohnsitz hat.

Russisches Kapital ist nirgendwo so konzentriert angesiedelt wie in der britischen Hauptstadt - was London ja den Spitznamen "Londongrad" oder "Moskau-an-der-Themse" bescherte. Der Londoner "Times" zufolge haben reiche Russen mehr als 27 Milliarden Pfund in Großbritannien und speziell in London investiert. Davon gehen, im Kalkül der Antikorruptions-Kampagne "Transparency International", mindestens 1,5 Milliarden Pfund aufs Konto von Oligarchen, die eng mit dem Kreml verbunden sind oder korrupter Praktiken beschuldigt werden.

Millionen-Spenden

Und das, erklären Experten, sei nur "die Spitze des Eisbergs". Denn hinter entsprechenden Käufen stehen oft undurchsichtige Firmen, die von Steueroasen aus operieren und deren kommerzielle Manöver bis heute schwer zu durchleuchten sind. Jahrzehntelang haben sich Regierungen in London gegen Kontroll-Reformen gesträubt, wie sie Politiker aller Parteien vermehrt gefordert hatten. Insbesondere war den Konservativen immer wieder vorgeworfen worden, nie wirkliches Interesse an Maßnahmen gegen die Oligarchen zu haben. Allein seit der Regierungsübernahme durch Boris Johnson flossen den Tories aus russischen Quellen offenbar zwei Millionen Pfund an Spenden zu.

Erst jetzt, seit dem Ukraine-Schock, sind striktere Regeln zum zentralen Thema in der britischen Politik geworden. Außenministerin Liz Truss gelobte diese Woche, sie bereite eine "Hitliste" gegen Oligarchen vor, die es in sich habe. "Kein Schlupfloch" werde den reichen Geschäftsleuten aus dem Osten fürs Waschen und Anlegen "schmutzigen Geldes" mehr zur Verfügung stehen.

Nervosität in "Londongrad"

Solche Rhetorik hat zur Nervosität in "Londongrad" begreiflicherweise beigetragen. Aber wie lange es dauern wird, entsprechende Sanktionen gegen einzelne Individuen in London zu ergreifen, steht dahin. Wie aus dem Außenministerium zu hören ist, haben Top-Anwaltsbüros im Auftrag der Superreichen der britischen Regierung bereits Millionenklagen angedroht, falls sie ihre Klienten ohne Beweise für ungesetzliches Verhalten in die Mangel nehme.

Auch Journalisten, die Oligarchen "in die Nähe Putins zu rücken suchen", werden mittlerweile kostspielige Prozesse angedroht. In dieser Situation, haben Foreign-Office-Beamte eingeräumt, könne es "Wochen oder gar Monate" dauern, bis man russische Oligarchen belangen könne. Es sei schon der reinste Witz, dass London den Oligarchen 18 Monate Zeit geben wolle, um ihre Teilhabe an bislang undurchsichtigen Geschäften offenzulegen, hat die oppositionelle Labour Party geklagt. Das müsse sich doch auch in 28 Tagen abwickeln lassen, meint Sir Keir Starmer, der Vorsitzende der Partei: "Warum geben wir Putins Kumpanen 18 Monate Zeit, um ihre Besitztümer in aller Ruhe aus dem Immobilienmarkt unseres Landes zu schaffen und in einen neuen sicheren Hafen zu verfrachten?"

Risiko der Kapitalflucht

Auch Regierungsbeamte räumen hinter den Kulissen ein, dass es hier "ein ganz beträchlichtes Risiko der Kapitalflucht" gebe. Das alles, warnte auch Tobias Ellwood, der Tory-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in Westminster, müsse "binnen Tagen, nicht binnen Wochen oder Monaten" bewerkstelligt werden - bevor das Geld allesamt verschwunden sei.

Der innenpolitische Sprecher der Liberaldemokraten, Alistair Carmichael, hat derweil zu einer seiner Ansicht nach "überaus simplen" Lösung geraten. "Es ist höchste Zeit, all diese Besitzungen einzufrieren und sie einem guten Zweck zuzuführen", sagte er. Zum Beispiel könne man in beschlagnahmten englischen Oligarchen-Schlössern "ukrainische Flüchtlinge unterbringen, die diesem schrecklichen Krieg entkommen sind".