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Oligarchen werden Opfer ihres eigenen Systems

Von Dorothea Hülsmeier

Politik

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Moskau - Seit dem Amtsantritt des Präsidenten Wladimir Putin vor bald sechs Wochen sind für den Kreml-kritischen Medienkonzern Media-Most dunkle Zeiten herangebrochen. Erst kam eine spektakuläre Razzia vermummter Männer in der Konzernzentrale kurz nach Putins Vereidigung Anfang Mai. Dann folgte die Festnahme des einflussreichen Media-Most-Chefs Wladimir Gussinski unter dem Verdacht des Betrugs, während Putin in Westeuropa Werbung für ein wieder erstarktes und reformfreudiges Russland macht.

In Russland und dem Westen kommt Sorge auf, wie es der frühere KGB-Agent Putin, der seinen Einzug in den Kreml auch einer beispiellose Kampagne der Kreml-treuen Medien verdankt, mit der freien Presse hält. Doch hinter dem Angriff gegen die finanziell angeschlagene Medien-Holding steht nach Ansicht von Beobachtern nicht nur ein Einschüchterungsversuch der Kreml-kritischen Medien, sondern eine politische Schlacht der Oligarchen um Einfluss auf die Macht im Kreml.

Die Reaktion Putins ,auf Gussinskis Festnahme ("Das kommt für mich überraschend") schien Ahnungslosigkeit des neuen Kreml-Herrn zu bezeugen. Die Wirtschaftszeitung "Wedomosti" zweifelte am Mittwoch aber an der "Unkenntnis" des neuen Kreml-Herrn, der früher immerhin Inlandsgeheimdienstchef war und in jüngsten Interviews in deutschen Medien den Oligarchen den Kampf angekündigt hatte.

"Das ist nicht ein Kampf der Führung gegen eine mächtige Medienstruktur, sondern der Kampf einer Gruppe gegen eine unabhängige andere", sagte der liberale Politiker Boris Nemzow. "Wenn Putin uns nicht betrügt, muss er die Leute entfernen, die das begonnen haben." Nemzow sieht als Drahtzieher der Kampagne gegen Gussinski den Kreml-Stabschef Alexander Woloschin. Die graue Eminenz in der Präsidentenadministration bereits seit der Endphase der Amtszeit Boris Jelzins hat angeblich gute Kontakte zu dem Finanzmagnaten Boris Beresowski.

Beresowski ist der schärfste Rivale Gussinskis im Kampf um den zukunftsträchtigen Medien-Markt in Russland. Auch Beresowski stand vor Monaten wegen Verdachts auf Geldwäsche im Visier der Ermittler, blieb jedoch unter Auflagen während der Ermittlungen auf freiem Fuß, während Gussinski umgehend in das berüchtigte Butyrka-Gefängnis gebracht wurde. "Das (Oligarchen)-System, das Gussinski einst mit zu schaffen half, hat sich gegen ihn gewendet", schrieb die "Moscow Times".

Aber auch der angeblich milliardenschwere Beresowski fühlt sich in seiner Haut offenbar nicht ganz wohl. "Es gibt keinen Zweifel, dass jeder Mensch, der in den letzten zehn Jahren Geschäfte in Russland gemacht hat, die russischen Gesetze verletzt hat", gestand er.

Der Kampf zwischen Beresowski und Gussinski spielt sich russischen Medien zufolge auf einer ganz anderen Ebene ab. Gussinski ist Vize-Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Beresowski ist ebenfalls jüdisch-stämmig. Am Dienstag wählte eine erst vor wenigen Monaten gegründete Versammlung jüdischer Gemeinden einen Gegenrabbiner zu dem langjährigen russischen Oberrabbiner Adolf Schajewitsch, der als Mann Gussinskis gilt. Gegenrabbiner Berl Lazar, ein US-Bürger, wird angeblich von Beresowski unterstützt und soll den Segen des Kremls haben.

Schajewitsch sieht sich dagegen dem Druck des Kremls ausgesetzt. Umgehend nach der Festnahme Gussinskis meldete sich der Rabbiner zu Wort und sprach von einem "Kampf zwischen verschiedenen Finanzgruppen im Land". Westliche jüdischen Organisationen spenden Millionen Dollar für wohltätige Zwecke und den Wiederaufbau von Synagogen und Schulen in Russland. Denn in Russland geht es auch im Glauben um Geld und politischen Einfluss.