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Oliver wird leiden

Von Reinhard Göweil

Leitartikel

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Der fünfjährige Oliver, der von seinem dänischen Vater "entführt" wurde, wirft kein gutes Licht auf die heimische Justiz. "Das ist ein juristisches Problem, man sollte einen kühlen Kopf bewahren", sagte der Leitende Staatsanwalt in Graz nun dazu. Der Satz wurde davor von ihm missachtet, weil die Justiz sofort einen internationalen Haftbefehl gegen den Vater ausstellte - ein eher unangemessen großes Geschütz.

Chefredakteur Reinhard Göweil.

Falsch ist der Satz auch. Der Streit um das Sorgerecht für ein Kind ist nie ein juristisches Problem, sondern immer ein zutiefst emotionales - dahinter stecken Scheidungskämpfe.

Nun ist das Recht in Österreich grundsätzlich auf der Seite der Frau beziehungsweise Mutter, weil das Gesetz davon ausgeht, dass die Frau der (finanziell) schwächere Part ist, aber dafür mehr Zeit für die Kindeserziehung hat.

Hinter dieser gesellschaftspolitisch eher antiquierten Einstellung versammelt sich allerdings bis heute eine ungewöhnliche Allianz aus katholischer Kirche und Frauenrechtler(inne)n.

Immer wenn Gesetz und gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen, beginnt der Formalismus sein wenig segensreiches Wirken: Viele einschlägige Urteile fußen bis heute auf OGH-Sprüchen aus grauer Vorzeit.

Im Fall des fünfjährigen Olivers ist es besonders krass. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wurde ein dänisches Urteil, das dem Vater die Obsorge zusprach, vom heimischen Pflegschaftsgericht einfach negiert. In Österreich bekam sie die Mutter zugesprochen.

Ohne eine Wertung abzugeben, ob nun Vater oder Mutter dieses Buben "recht haben": Den Spruch vom "kühlen Kopf" hätte der Oberstaatsanwalt in Graz besser vorher dem dortigen Pflegschaftsgericht mit auf den Weg gegeben. Dieses aber folgte der eingeübten Praxis und nahm auf die Mutter Rücksicht - das Kindeswohl kann es nicht gewesen sein. Denn dass der (unbescholtene) Vater mit seinem Sohn vor der "Kindesentziehung" bloß in einem kleinen Zimmer, unter Aufsicht und exakt vereinbarter Zeit sprechen durfte, ist unwürdig - und verlängert den Schatten, der auf dem Gericht lastet.

Der kleine Oliver wird derzeit vermutlich nicht genau wissen, wie ihm geschieht - und das juristische Tauziehen hat nicht einmal begonnen. Die Verantwortung für das Desaster trägt ein österreichisches Gericht, das aus formalen Gründen weit übers Ziel geschossen hat.