Darts und Schach sind mindestens so Olympia-würdig wie Skateboard und Surfen.
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Die Olympischen Spiele von Tokio biegen schön langsam auf die Zielgerade ein - womit auch die Zeit des Bilanzziehens beginnt. Vor allem eine nähere Betrachtung ist bei jenen Sportarten nötig, die diesmal erstmals im olympischen Programm aufschienen. Wir erinnern uns, IOC-Präsident Thomas Bach war einst angetreten, dem gefräßigen (Geld-)Monster mit den fünf Ringen eine heilende Schlankheitskur zu unterziehen, um künftig überhaupt noch seriöse Austragungsorte zu finden - herausgekommen ist dann freilich eine Erweiterung um gleich fünf Sportarten (und viele zusätzliche Medaillenentscheidungen in bestehenden Disziplinen): Klettern, Karate, Skateboard, Wellenreiten und Softball feierten in Tokio also ihr Olympia-Debüt respektive -Comeback. Denn wie sagte Bach einst noch gleich: "Wir wollen den Sport zur Jugend bringen."
Wäre es nur die Jugend! Denn jene Herren und Damen, die um Edelmetall auf dem Skateboard fuhren, kann man schwerlich so anreden - und bei vielen war Jugend eine glatte Übertreibung. Immerhin hatten die Kinder auf ihren Boards einen Heidenspaß, detto das Gastgeberland, das drei von vier Goldenen einheimste - womit die japanische Skateboard-Industrie nachgerade am Explodieren ist. Womit ein Gutteil des olympischen Auftrags erfüllt wurde - wiewohl einem Mitteleuropäer das Thema Skateboard dann doch etwas retro anmutet. An Klettern und Karate ist wiederum schon aus rein rot-weiß-roter Sicht wenig auszusetzen - siehe die Bronzenen von Bettina Plank und Jakob Schubert. Die Karatekas haben durchaus bewiesen, dass ihr Sport Olympia-würdig ist und nicht gleich wieder aus dem Programm gekickt werden sollte. Denn im Vergleich zu anderen Kampfsportarten (Judo, Ringen, Boxen) ist ein Duell im Kumite eine kurzweilige, erfrischende Sache - und die spitzen Schreie der Karatekas sind wahrlich eine Bereicherung so mancher olympischen Eintönigkeit.
Und dass Klettern eine telegene Angelegenheit ist, die mit spektakulären Kameraeinstellungen und Grafiken für die TV-Zuseher plastisch aufbereitet wird, wurde in Tokio eindrucksvoll bewiesen. Mit entsprechender Stimmung - wir erinnern uns an den Roar bei der WM 2018 in Innsbruck - wäre das Ganze noch eine Spur prickelender gewesen. Apropos prickelnd: Das, was uns da am Tsurigasaki Beach bei der Surf-Premiere gezeigt wurde, war nicht wirklich das Gelbe vom Ei, weil Wetter und Wellen schlicht nicht mitspielten. 2024 in Paris könnte es aber besser werden - denn da wird auf Tahiti gesurft. Olympia-Kenner wissen aber: Surfen ist keineswegs neu bei Sommerspielen, weil Windsurfen jahrelang Teil des Segelsports (Mistral-Klasse) war - mit dem österreichischen Olympiasieger Christoph Sieber anno 2000.
Ein Aufbruch zu neuen olympischen Ufern sieht nicht nur aus diesem Grund anders aus: Will das IOC aktuelle Trends und boomende Sportarten abbilden, wird man etwa an Darts nicht vorbeikommen. Gegen geerdete Bierbauch-Stars und Tollhaus-Atmosphäre kann kein Funktionär was haben - zumal da Jung und Alt vereint sind; und der Denksport Schach harrt schon seit Jahrzehnten einer fünfringigen Würdigung - wenn es der aktuelle Boom im Frauen-Schach ("Damengambit") nicht schafft, dann wohl nimmermehr.