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Die Lage in Brasilien ist zur Zeit sehr komplex. Weil in der Politik Korruption herrscht, können die Brasilianer von keiner besseren Zukunft träumen. Seit einigen Jahren zeigen die Massenmedien jeden Tag Nachrichten über Korruptionsfälle in der Politik in verschiedenen föderalen Einheiten, von der Bundesregierung über die Bundesstaaten bis hin zu den Gemeinden.
Auch das Wahlsystem liegt in Trümmern. Große Firmen fördern fast alle Parteien und fast alle Kandidaten mit Siegchancen. Für die Wahlfinanzierung setzen die Firmen legales und illegales Geld aus den Geschäften mit den Regierungen ein. Hierbei verwenden sie in erste Linie Schwarzgeld, das aus dem Staatssäckel fließt. Von rechts nach links bilden wenige Politiker die Ausnahme. Präsidentin Dilma Rousseff wurde suspendiert, weil ihr vorgeworfen wurde, die Haushaltsgesetze verletzt zu haben. Jedoch hat auch Interimspräsident Michel Temer mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Schon in seinem ersten Amtsmonat wurden drei seiner Minister wegen Korruption entlassen. Und es weitere Vorwürfe folgen, nicht nur gegen andere Minister, sondern auch gegen den Interimspräsidenten selbst. Der Ex-Chef der Petrobras-Tochter Transpetro, Sérgio Machado, hat Temer der Wahlkorruption bezichtigt. Machado behauptete gegenüber der Bundesstaatsanwaltschaft, dass Temer um illegales Geld gebeten habe, rund 375.000 Euro aus Bestechungen privater Transpetro-Gesellschaftspartner, um den Kandidaten Gabriel Chalita im Jahr 2014 bei den Bürgermeisterwahlen in São Paulo zu finanzieren. Temer droht nun ein ähnliches Schicksal wie der suspendierten Präsidentin Rousseff, die beim Kauf der Ölraffinerie in Pasadena, Texas (2006) dem Verwaltungsrat von Petrobras vorsaß.
Strafverfolgung mehrerer Ex-Präsidenten
Temer und Rousseff sind damit aber nicht alleine. Auch andere Ex-Präsidenten schlagen sich mit strafrechtlichen Rückschlägen herum. Fernando Henrique Cardoso wurde wegen einer Geldüberweisung durch das Privatunternehmen Dufry für seine Geliebte bloßgestellt. Gegen ihn wurde eine strafrechtliche Untersuchung beantragt. Auf der anderen Seite wird Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva im "Lava-Jato"-Skandal strafrechtlich verfolgt, ebenso wie Ex-Präsident José Sarney, Senatspräsident Renan Calheiros und der von einem Gericht aus dem Amt entfernte Präsident des Repräsentantenhauses, Eduardo Cunha. Der Generalbundesstaatsanwalt forderte vorübergehende Festnahmen von Sarney, Calheiros und Cunha, die jedoch Mitte Juni vom Bundesrichter Teori Zavascki abgelehnt wurden.
Neue Wahlen mit alten Parteien - nicht sehr vielversprechend
In diesem Kontext erscheinen Neuwahlen vielleicht als eine echte demokratische Lösung - da aber dieselben Parteien, die an den vergangenen Wahlen teilgenommen haben, auch diesmal wieder dabei sein werden, ist dieser Weg nicht sehr vielversprechend. Der Bundesgerichtshof hat im September 2015 die Finanzierung des Wahlkampfes durch Unternehmen verboten, doch die Folgen dieser Entscheidung gegen die "Slush-Fonds" sind nicht abzuschätzen. Der Fall "Lava-Jato" zeigt den Brasilianern, wie die Korruption ein politisches System verunreinigen kann. Die Bundesstaatsanwaltschaft organisierte Gruppen von Staatsanwälten, die sich nur mit diesem Fall beschäftigen. Bis jetzt hat die Justiz viele Prominente verurteilt und mehr als eine Milliarde Euro für die öffentlichen Kassen zurückgewonnen, aber man darf sich nicht täuschen lassen: Die Wurzeln der brasilianischen politischen Korruption wurden noch nicht abgeschnitten.
Die politische Situation verschlechtert sich weiter mit der Finanzkrise. Während Rousseffs Amtszeit sanken Brasiliens Finanzen wie ein Stein. Für heuer wird ein Defizit von rund 40 Milliarden Euro erwartet. Das ist das dritte defizitäre Jahr in Folge. Für 2017 verspricht das Finanzministerium ein neues, aber geringeres Defizit. Selbst Temers neue strenge Finanzpolitik kann diese Kurve in kurzer Zeit nicht umkehren. Dieses Bild wiederholt sich in vielen Bundesstaaten Brasiliens. In Rio de Janeiro etwa werden seit Monaten Beamtengehälter nur mit Verspätung ausgezahlt.
Am 17. Juni dekretierte der Bundesstaat sogar den öffentlichen Notstand, um Finanzmittel für Olympia freisetzen zu können. Komisch ist, dass der Bund noch am selben Tag etwa 800 Millionen Euro als Hilfe versprach. Dazu sagte der Bundessekretär für Partnerschaften und Investitionen, Moreira Franco, einen Tag später: "Wir wollen nicht, dass fünf Milliarden Olympia-Zuschauer denken, Brasilien sei ein Graus." Einige diese Millionen braucht man noch, um die U-Bahn-Linie 4 fertigzustellen, die eine Bedingung des IOC für die Austragung der Spiele war.
Kein Geld für Gesundheit und Bildung, aber für große Events
Es gibt kein Geld für primär öffentliche Dienste wie das Gesundheits- und das Bildungssystem, nur für die Fußball-Weltmeisterschaft (2014) gab es welches und für Olympia soll es dieses geben. Zahlreiche öffentliche Schulen wurden von Schülern der "Occupy"-Bewegung besetzt. Die Universität von Rio de Janeiro wird seit mehr als drei Monaten bestreikt, weil die Regierung die Finanzierung gekürzt hat. Auch die Sicherheitsdienste haben finanzielle Probleme. Am 28. Juni trat die Kriminalpolizei von Rio de Janeiro in den Streik. Die Polizeibeamten verlangen die Auszahlung der Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen, aber die Sorge der Regierung kreist nur um die Verwirklichung der Olympischen Spiele. Die Bundeshilfe ist eine Umarmung zweier Ertrinkender. In dieser politischen Landschaft ist das Risiko groß, dass Brasilien in diesem Zug ohne Lokführer weiterfährt.
Zum Autor
José Danilo Tavares Lobato
ist Professor an der Universidade Federal Rural do Rio de Janeiro für Strafrecht und Kriminologie.