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Olympiasieger im Jammern

Von Lutz Lischka

Gastkommentare
Lutz Lischka war jahrzehntelang Sportjournalist und als Judoka Fünfter bei den Olympischen Spielen 1972.

Wer sich über das schlechte Abschneiden der Österreicher in London beklagt, sollte sich auch das vergegenwärtigen, was sie geschafft haben.


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Das Gejammere um das Abschneiden der österreichischen Sportler und Sportlerinnen bei den Olympischen Spielen ist höchst bedauerlich. Wer jammert denn so heftig? In erster Linie sehe ich Leute, die beim 100-Meter-Lauf schon vor dem Ziel kraftlos umfallen würden oder ein halbwegs ansprechendes Gewicht nicht einmal vom Boden aufheben könnten. Sie alle stimmen lautstark in die Kritik der österreichischen "Versager" in London ein, ohne die anspruchsvollen bis hervorragenden Leistungen zu würdigen.

Ein gutes Abschneiden bei Olympia begleitet den Sportler oder die Sportlerin ein ganzes Leben lang. Auch wenn sie an einer Medaille knapp vorbei geschrammt sind oder aus ihrem Potenzial heraus gar keine Chance hatten. Nehmen wir Dinko Jukic, der im Feld der Weltklasseschwimmer Vierter wurde; die Schwaiger-Schwestern, die uns Stunden voller Spannung im Beachvolleyball lieferten; Beate Schrott, die den Finallauf über 100-Meter-Hürden erreichte. Selbst Alexander Gehbauer kann auf seinen 9. Platz im Cross Country mächtig stolz sein.

Blick über den rot-weiß-roten Tellerrand hinaus: Hätte die Deutsche Betty Heidler den Hammerwurf über 77,13 Meter nicht geschafft, der mehr Staub aufwirbelte, als nur ein Grasbüschel im Olympiastadion wegzureißen, wäre sie dann eine Olympia-Touristin gewesen?

Zurück zu den Österreichern: Natürlich kann es auch passieren, dass der eine oder die andere die Nerven wegschmeißt und statt der gewohnten Form Leistungen weit unter dem eigenen Wert erbringt. Aber auch solche Sportler verdienen Anerkennung. Sie haben - symbolisch gesehen - in ihrem Sportlerleben schon einige Achttausender bestiegen, was sie ja auch zum Start in London befähigte. Sie haben nur nicht den Mount Everest geschafft. Verdienen sie deshalb unsere Achtung nicht mehr?

Die Grundlagen zum sportlichen Erfolg setzen sich aus den Genen, aus der sportlichen Förderung im frühen Kindesalter, aus der Förderung in jungen Jahren und aus der sportspezifischen Intelligenz zusammen. Dazu kommen eiserne Disziplin im Training und im Privatleben sowie überlegene mentale Stärke, die wiederum auf den genannten Faktoren aufbaut. Trifft alles schon aufeinander, kann ein Ausnahmesportler entstehen wie Usain Polt, Michael Phelps oder Peter Seisenbacher. Dabei sind Elternhaus (ohne das Kind mit maßlosem elterlichen Ehrgeiz zu überfordern), Verein und nationaler Verband gefordert.

Aber jetzt alle Trainer und Funktionäre schlechtzureden, die zumeist ehrenamtlich ihre gesamte Freizeit der Ausbildung junger Sportler widmen, ist letztklassig. Sollen sie vielleicht abtreten, weil ihr oder ihre Sportler keine Olympiamedaille mit heimgebracht haben? Dann würde der österreichische Sport überhaupt aufhören zu existieren.

Von außen zu kritisieren, ist wohl das Recht eines jeden, ob Journalist, Sportpsychologe oder Zuseher. Stellten sie sich aber selbst ins Innenleben des Sports, würden sie bald merken, welche ungeahnten Hindernisse es zu bewältigen gilt. Aber sie könnten es immerhin versuchen. Schließlich haben sie ja jetzt vier Jahre lang Zeit.