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Olympische Tigermücken

Von Eva Stanzl

Wissen

Auch gewöhnliche Hausgelsen können Flaviviren übertragen. Ob Zika dabei ist, wird derzeit von Forschern geprüft.


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Je feuchter der Sommer, desto üppiger ist die Gelsenplage - heuer haben Stechmücken Hochsaison. Die Stiche sind lästig, beißen und kratzen und können sich entzünden. In vielen Ländern übertragen sie jedoch gefährliche Krankheiten. Ganz Brasilien fürchtet die ägyptische Tigermücke, die das Zika-Virus verbreitet. In Rio de Janeiro eröffnen in der Nacht von Freitag auf Samstag die Olympischen Sommerspiele. 11.000 Sportler werden erwartet - und eine halbe Million Besucher aus aller Welt.

Die irritierende Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lautet: Schwangere Frauen und Frauen mit Kinderwunsch sollten von einer Reise nach Süd- und Mittelamerika absehen. Alle anderen, die zu den Spielen fahren, sollten zu jeder Tageszeit Anti-Mücken-Spray auftragen und unter Insektennetzen schlafen. Reiserückkehrer sollten zudem nach der Ankunft acht Wochen lang keinen ungeschützten Sex haben.

Werden die Empfehlungen genau befolgt, ist in Europa keine Epidemie zu befürchten, scheint die WHO sagen zu wollen. Doch was ist, wenn recht viele Olympia-Besucher ihren Mückenschutz ein paar Mal zu Hause vergessen? Werden sie das Virus in ihre Heimatländer bringen und könnte sich Zika in Europa verbreiten?

In den 1940er Jahren tauchte die Krankheit erstmals in Afrika auf. Weil sie sich zunächst nur in grippeähnlichen Symptomen äußerte, galt sie als ungefährlich. Bis Anfang 2015 in Brasilien auffallend viele Menschen an leichten Grippen erkrankten. Monate später entdeckten die Ärzte, dass es sich um Zika handelt. Ende 2015 wurden dann immer mehr Kinder mit Schädelfehlbildungen, genannt Mikrozephalie, geboren. Die Folge ist eine lebenslange, schwere Behinderung. Anfang des Jahres zählte die WHO in Brasilien 56.000 Zika-Fälle und 399 Kinder mit Mikrozephalie - doppelt so viele wie normalerweise in einem ganzen Jahr zur Welt kommen.

Bunte Kondomautomaten

In Brasilien drehen 200.000 Soldaten nun jede Wassertonne um und sammeln weggeworfene Trinkbecher ein, die als Brutstätten dienen. Sie klären die Bevölkerung auf, wie sie den Stechmücken den Lebensraum rauben können. Ärzte und Gesundheitsbehörden sind im Dauereinsatz und im Olympiapark in Rio werben besonders farbenfrohe Kondom-Automaten damit, sich doch bitteschön zu bedienen.

Das Virus ist flexibel. Es hat einen zweiten Weg gefunden, sich zu verbreiten. Ende des Vorjahres wurde im US-Bundesstaat Texas der erste Fall einer sexuellen Übertragung bekannt. Noch nie hatten sich Viren, die von Insekten weitergegeben werden, auch durch Geschlechtsverkehr vervielfältigt. Zuerst dachte man, nur Männer seien ansteckend. Doch dann stellte sich heraus, dass auch Frauen ihre Partner infizieren können. Der Erreger überlebt außerdem in den Spermien, selbst wenn die Symptome bereits wieder verschwunden sind. Ehemalige Zika-Patienten bleiben zwei Monate lang Träger und sollten auch nach der Infektion Kondome verwenden.

Fälle wurden in 61 Ländern registriert, vor vor allem in Süd- und Mittelamerika. Brasilien ist am stärksten betroffen, das Gesundheitsministerium in Rio schätzt die Zahl der Infektionen auf 1,5 Millionen. Mehr als 1700 Babys sind so weit mit Missbildungen zur Welt gekommen, jüngst das erste in Europa. Ebenso viele Menschen leiden am Guillain-Barre-Syndrom, ein seltenes Nervenleiden, das zu Lähmungen führen kann und offenbar auch von Zika verursacht wird.

Wissenschafter konnten das Virus mittlerweile im Fruchtwasser von schwangeren Frauen und in Gehirnen von Säuglingen mit Mikrozephalie nachweisen. Ende Mai bestätigte sich der kausale Zusammenhang. 151 Gesundheitsexperten forderten in einem Offenen Brief an die WHO eine Verschiebung der Olympischen Spiele oder einen anderen Austragungsort. Eine halbe Million Besucher könnten angesteckt werden und die Krankheit mit in ihre Heimatländer tragen, warnten die Experten aus 29 Ländern.

Die WHO wies die Bedenken zurück. Die Olympischen Spiele sollen stattfinden, hieß es. Seit Februar seien die Zika-Fälle zurückgegangen. Auch wegen des trockenen brasilanischen Winters bestünde kein Risiko für die öffentliche Gesundheit, das eine Vertagung oder Absage rechtfertige, teilte die Organisation am 14. Juni mit. Zudem würde eine solche Entscheidung "die Ausbreitung des Zika-Virus nicht signifikant" beeinflussen, schließlich herrsche zwischen betroffenen Ländern ein reger Reiseverkehr.

Die Verwandte der Tigermücke

Dennoch haben einige Sportler ihre Teilnahme an den Spielen abgesagt. Inzwischen gibt es einen Zika-Schnelltest, jedoch noch keinen Impfstoff. Der französisch-österreichische Hersteller Valneva forscht seit Anfang Februar in Wien an einem Zika-Vakzin für Frauen im gebärfähigen Alter und bereits Schwangere. Die Europäische Investitionsbank genehmigte Valneva einen Kreditrahmen über 25 Millionen Euro für die Impfstoffforschung. Und auch ein US- Team testet derzeit eine immunisierende Substanz - allerdings erst im Tierversuch.

Ein Zeitfenster ist offen, denn die ägyptische Tigermücke kommt derzeit nicht in Europa vor. Sie hat jedoch einen Verwandten, die asiatische Tigermücke, Aedes albopictus. Sie stammt aus den südostasiatischen Tropen und Subtropen, hat sich jedoch durch Warentransporte und Reisetätigkeiten nach Europa verbreitet. Auch in Österreich und Bayern werden immer wieder Exemplare gesichtet. Aedes albopictus überträgt Chikungunya- und Denguefieber - und Zika.

In einem Hochsicherheitslabor im Hamburger Tropeninstitut züchtet der Virenforscher Jonas Schmidt-Chanasit die gefährlichen Blutsauger. "Aedes albopictus kann Zika übertragen. Die Art ist aber nicht sehr geeignet und in Europa haben wir keinen Hinweis auf ein infiziertes Exemplar. Aber die Fähigkeit dazu haben die asiatischen Tigermücken", sagt Schmidt-Chanasit.

Der Tropenforscher sieht aber eine noch größere Gefahr. "Was uns für Europa interessiert, ist ob auch einheimische Culex-Stechmücken, zu denen Hausgelsen und Überschwemmungsgelsen zählen, sich und die Menschen mit Zika infizieren könnten." Um dieser Frage nachzugehen, sammeln Schmidt-Chanasit und seine Kollegen Gelsen, um sie unter strengen Sicherheitsvorkehrungen zu infizieren. Konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht, "aber wir haben starke Hinweise, dass heimische Mücken mit Zika anstecken und das Virus auch weitergeben könnten", betont er.

Mücken sind zwar Vegetarier, doch die Weibchen benötigen Blut, um Eier abzulegen. Deswegen stechen sie Mensch und Tier. Eine Zika-Übertragung in Österreich könnte man sich daher so vorstellen: Zwei Brasilien-Urlauber fahren kurz nach der Heimkehr an den Neusiedlersee. In der Dämmerung werden sie von den Gelsen zerstochen, die auch andere Seebesucher beißen. Das Szenario scheint nicht an den Haaren herbeigezogen - wenn unsere Gelsen Zika weitergeben.

Epidemie durchaus möglich

Es wäre nicht das erste Mal. "Zika hat einen Verwandten in der Gruppe der Flaviviren, das Usutu-Virus. Es wird sehr wohl von heimischem Mücken übertragen und hat bereits zu einem Amselsterben und Infektionen bei Blutspendern geführt. Das hat durchaus eine medizinische Relevanz", sagt Schmidt-Chanasit.

Im Gesundheitsministerium gibt man sich was Olympia betrifft entspannt. "Heuer hatten wir elf Infektionen von Reiserückkehrern. Bei der globalisierten Reisetätigkeit braucht es keine Spiele, um eine theoretisch weltweite Verbreitung in Gang zu setzen", sagt Bernhard Benka von der Sektion für Öffentliche Gesundheit. "Aber wenn Zika von Hausgelsen übertragen würde, müssten wir rasch reagieren." In einem Worst Case Szenario errechneten Forscher die beunruhigende Zahl von bis zu 93,4 Millionen mit dem Virus infizierten Menschen bis zum Ende des aktuellen Ausbruchs, darunter 1,65 Millionen schwangere Frauen.

Mehr über die Olympischen Spiele 2016 im Dossier.