Während die Corona-Maßnahmen fallen, lauern neue Versionen von Omikron, die den Immunschutz noch geschickter umgehen.
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Mutig und erleichtert lassen wir dank sinkender Infektionsraten mehr und mehr Corona-Schutzmaßnahmen fallen. Doch um die Ecke lauern die nächsten Untervarianten von Omikron, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Besorgnis beobachtet. Die "Wiener Zeitung" fasst zusammen, was über die neuen Versionen BA.4, BA.5 und BA.2.12 bekannt ist.
BA.4 und BA.5 wurden bisher in Südafrika, Botswana und einigen europäischen Ländern, wie Großbritannien, Dänemark und auch Österreich, nachgewiesen. Beide Subvarianten zeigten laut WHO teils andere Charakteristika als bisherige Formen von Omikron. Allerdings beruht diese Erkenntnis auf einer vorerst geringen Zahl an genetischen Sequenzierungen dieser Mutationen bei Covid-Infizierten in Südafrika. Neue Spitzen bei Ansteckungen werden laut internationalen Berichten dort noch nicht registriert, jedoch ein steigender Anteil an Infektionen mit BA.4 und BA.5 in der Gesamtstatistik.
"Zoo von Subvarianten"
Zu den Risiken warnt Tulio de Oliveira, Direktor der Südafrikanischen Seuchenkontrollbehörde in Stellenbosch nahe Kapstadt, dass eine einzige Mutation an jeder der neuen Omikron-Versionen es Sars-CoV-2 ermöglichen könnte, den Immunschutz durch Impfungen oder Genesung noch besser zu umgehen. Jedoch müsse man erst sehen, wie sich die Subvarianten in der Bevölkerung verbreiten.
Weltweit hatte die Zahl der bestätigten Corona-Fälle am Freitag laut WHO eine halbe Milliarde überschritten. "Derzeit ist es alles andere als klar, ob BA.4 und BA.5 epidemiologisch relevant sind und Eigenschaftsveränderungen besitzen. Von beiden Subvarianten hatten wir auch in Österreich schon vereinzelte Fälle, aber man weiß noch zu wenig dazu", sagt der Wiener Virologe Andres Bergthaler, der Corona-Mutationen für Österreich sequenziert. Für gefährlicher aber hält der Vorstand des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinuniversität Wien die Variante BA.2.12, die in New York grassiert. "Von ihr nimmt man an, dass sie sich um zehn bis 20 Prozent schneller verbreitet, einen Wachstumsvorteil hat im Vergleich zur in Österreich dominanten Form BA.2. - und dass ein Anstieg der Zahlen in den USA davon getrieben ist", sagt Bergthaler.
Überraschungen im Omikron-Stammbaum
Laut dem US-Department of Health verbreiten sich in den USA zwei neue Linien der Subvariante, BA.2.12.1 und BA.2.12.2. Beide sind eng mit der dominanten Omikron-Version BA.2 verwandt. In New York gehen laut der Gesundheitsbehörde bereits 90 Prozent der Neuinfektionen auf das Konto dieser Linien, wobei BA.2.12.1 eine Mutation ausgeprägt habe, die dem Virus besonders zum Vorteil gereicht. "Über BA.2.12 würde ich mir keine Sorgen machen. Nur die Tochterlinie BA.2.12.1 hat S:L452Q, was der Haupttreiber des Wachstums zu sein scheint", schreibt der an der Universität Basel tätige Biophysiker Cornelius Roemer in einem Tweet. Es handle sich um eine Mutation in der Rezeptor-Bindedomäne. Veränderungen an dieser Stelle, mit der Sars-CoV-2 an die Zelle bindet, haben sich als günstig für den Erreger erwiesen.
Roemer geht von einem Wachstumsvorteil von mehr als 30 Prozent aus. Und der Epidemiologe William Hanage von der Universität Harvard betont im US-National Public Radio, dass die rasante Verbreitung der Subvariante auf meisterhafte Schachzüge gegen die Wächter des Immunschutzes hindeute. Die Variante wurde so weit auch in Kanada, UK, Australien, Israel und Luxenburg nachgewiesen, jedoch ist sie in den USA am stärksten verbreitet und dort vor allem in der Stadt New York. "Der Hintergrund sind aber niedrige Inzidenzen, somit ist die Zahl der Betroffenen nicht hoch", so Hanage.
Auch die Omikron-Rekombinante XE in England habe laut aktuellen Daten einen Wachstumsvorteil von circa 20 Prozent gegenüber dem Original, sagt Bergthaler (die "Wiener Zeitung berichtete). Jedoch seien die Fallzahlen "relativ klein, sodass sich die Parameter, wie schnell sich das Virus durch die Bevölkerung verbreitet, von Woche zu Woche verändern".
Der Blick nach China
Angesichts dieser Überraschungen im Stammbaum von Sars-CoV-2 zeigt sich die WHO darüber besorgt, dass die Länder weniger testen. Es sei kurzsichtig, zu denken, dass das Risiko einer Ansteckung wegen weniger gemeldeter Infektionen zurückgegangen sei, betonte sie diese Woche. "Omikron verästelt sich zu einem Zoo von Subvarianten, wie wir das schon bei Delta beobachten konnten. Zugleich aber wird weniger getestet und sequenziert. Das macht es schwieriger, den Überblick zu bewahren", sagt Bergthaler.
Vor diesem Hintergrund bleibt auch die Lage in China - derzeit herrscht in Shanghai ein strenger Lockdown - zu beobachten. "China hat über zwei Jahre versucht, eine No-Covid-Strategie zu fahren, was mit einer infektiösen Variante wie Omikron höchstwahrscheinlich nicht zu halten ist. Die dortige Bevölkerung ist unter Umständen stärker vulnerabel aufgrund der bisherigen niedrigen Infektionszahlen und den tendenziell weniger effektiven Impfstoffen", sagt der Virologe. "In Wirklichkeit werden wir aber erst nach der Pandemie sehen, welche Strategie die beste war."