OMV-Chef Rainer Seele über mögliche US-Sanktionen beim Bau von Nord Stream 2, Fridays for Future und dem Abschied vom Ölzeitalter.
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Erdöl befeuert die Wirtschaft seit vielen Jahrzehnten. Vom Lkw-Transport, Auto- und Flugverkehr, über Industrieanlagen und Fabriken bis hin zur Erzeugung von Strom. Eine Welt ohne Öl war lange Zeit nicht vorstellbar. Doch das ändert sich nun. Der Rohstoff wurde vom Liebling der Massen zum unerwünschten Klimasünder. Wie man als Ölkonzern darauf reagiert und was die Lösung ist, erklärt OMV-Chef Rainer Seele im Gespräch:
"Wiener Zeitung": Herr Seele, leicht zugängliche Ölquellen sind längst ausgebeutet, Öl hat an Image eingebüßt, steht als Synonym für Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung. Neigt sich das Ölzeitalter jetzt tatsächlich dem Ende zu?
Rainer Seele: Die Pariser Klimaziele und auch deren Umsetzung in der Klimapolitik Österreichs zeigen in eine deutliche Richtung: Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Öl durch neue Energieformen ersetzt wird. Öl wird uns aber in einigen anderen Bereichen erhalten bleiben. Wir werden Öl in fernerer Zukunft zwar nicht mehr als Energieprodukt verbrennen, aber als Rohstoff gebrauchen. Aus dem Rohstoff können hochwertige Produkte hergestellt werden, mit einer langen Lebensdauer, insbesondere im Bereich Chemie. Hier wird der Bedarf sogar zunehmen. Wir bereiten uns also auf ein verbrennungsarmes Ölzeitalter vor.
Gab es einen Moment, an dem Ihnen klar wurde, dass es nicht mehr so weiter gehen kann, wie bisher, dass Öl in dieser Form keine Zukunft hat?
Mich haben drei Entwicklungen sehr stark geprägt. Zum einen die Initiative Fridays for Future. Hier wurde der Klimawandel erstmals als Herausforderung für die Zukunft definiert, auf den wir ernsthaft reagieren müssen. Mehr Umweltschutz fordern auch ganz klar die Finanzmärkte. Und drittens ändert sich der Automobilbereich. Die europäische Autoindustrie hat sich für die Elektromobilität entschieden. Das wird zu einem deutlich geringeren Kraftstoffverbrauch und langfristig zu weniger Tankstellen führen.
Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock setzt auf Klimaschutz, Versicherungen versichern keine Kohlekraftwerke mehr. Welche Rolle spielen Kapitalmärkte beim Klimawandel?
Die Finanzmärkte sind die eine Seite, aber es muss sich auch das Verbraucherverhalten ändern. Wenn die Gesellschaft mitmacht, spiegelt sich das auch in den Finanzmärkten wider.
Der Ausstieg aus fossiler Energie ist für viele Energiekonzerne sehr schmerzhaft, einige ziehen nun sogar vor Gericht. RWE verklagt die Niederlande wegen des Kohleausstiegs, Vattenfall verklagt Deutschland wegen des Atomausstiegs. Will die OMV ebenso Schadenersatz fordern?
Nein, dazu sehe ich derzeit keinen Anlass. Regierungen müssen natürlich einen Übergang definieren, damit sich Unternehmen auf die neue Situation einstellen können. Jeder weiß aber schon seit geraumer Zeit über die Veränderung in der Klimapolitik. Wer sein Investitionsverhalten aufgrund dieser geänderten Rahmenbedingungen noch immer nicht verändert hat, darf sich jetzt nicht beschweren, dass er eine schlechte Investitionsentscheidung getroffen hat.
Die Energiekonzerne berufen sich bei ihren Klagen auf den zwei Jahrzehnte alten Energie-Charta-Vertrag, der alle bestehenden Energieinvestitionen schützt. Sollten die EU-Länder aus dem Vertrag aussteigen?
Das müssen die Länder selbst entscheiden, da möchte ich keine Empfehlung aussprechen.
Weniger Öl- und Gasproduktion, dafür die Produktion von Biokraftstoffen, die 3,9 Milliarden schwere Übernahme des Kunststoffherstellers Borealis. Wir erleben gerade die größte Weichenstellung in der OMV-Geschichte. OMV hieß einmal Österreichische Mineralölverwaltung. Stimmt das noch?
Die OMV ist heute ein Brand für sich. Die drei Buchstaben stehen für die Qualität und, für die Leistungen des Unternehmens, die auch zu einem hohen Lebensstandard in Österreich beitragen. Wir werden uns künftig mehr und mehr als ein Chemieunternehmen verstehen, dass in die Höherveredelung von Rohstoffen investiert. Zudem werden umweltverträgliche Prozesse ein Technologieschwerpunkt bei der OMV sein. Trotzdem werde ich auch in der Zukunft den Namen OMV mögen. Der Firmenname bleibt.
Also kein OCV für Österreichische Chemieverwaltung denkbar?
(lacht) Nein. Die Buchstaben bleiben. OMV ist auch keine Abkürzung mehr, sondern eine Marke. Aber dass das O nach wie vor für Österreich steht, darauf können wir uns einigen.
Es gibt viele Länder, die sehr vom Öl abhängig sind. Eines davon ist Ecuador. Das Land machte einmal den Vorschlag, seine Vorkommen im Amazonas-Gebiet unangetastet zu lassen, wenn die Weltbevölkerung den Verlust finanziell ausgleicht. Sollen Länder Entschädigungen erhalten, wenn sie bereit sind ihre Vorkommen nicht mehr auszubeuten?
Genauso wie wir das vorhin mit den Unternehmen diskutierten, müssen sich auch diese Staaten auf eine veränderte Welt einstellen. Ich kann diesen Staaten ja nur empfehlen, dass sie auch in Diversifizierung investieren. Das Öl werden wir noch eine gewisse Zeit brauchen und auch verkaufen, ich denke, wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch einen globalen Ölmarkt vorfinden. Dann wird die Nachfrage nach Öl aber weniger werden. Ich würde den Vorschlag verstehen, wenn wir abrupt sagen, dass wir ab morgen kein Öl mehr kaufen. Das ist aber nicht der Fall.
Der Bau der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 ist sehr umstritten. Zuletzt drohten die USA mit Sanktionen. Mehr als 18 Unternehmen zogen sich daraufhin von dem Projekt zurück. Die OMV investierte 730 Millionen Euro in Nord Stream 2. Wird sie zu Ende gebaut?
Das will ich wohl hoffen. Dieses Projekt ist von großer Bedeutung für die Versorgungssicherheit des europäischen Gasmarktes, es steht daher in der Entscheidungsverantwortung Europas. Mit den USA leben wir seit Jahrzehnten eine tiefe transatlantische Freundschaft. Und Freunde sollten einander nicht drohen.
Die Gaspipeline verbindet Deutschland mit Russland. In Russland würde derzeit die Opposition stärker denn je verfolgt werden, sagt der litauische Außenminister. Seiner Ansicht nach sollte das Projekt deshalb bis zu den russischen Parlamentswahlen im September gestoppt werden. Was halten Sie davon?
Wir haben in Europa klare Spielregeln, die auf Konsens beruhen. Die Bedenken von kleineren Mitgliedsstaaten müssen daher berücksichtigt werden. Deutschland als Verbindungsland von Nord Stream 2 hat eine klare Position. Da muss der politische Dialog geführt und Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Die OMV war drauf und dran sich am russischen Gasfeld Achimov zu beteiligen. Doch dann wurden die Verhandlungen bis 2022 vertagt. Was war der Grund?
Wir haben die Verhandlungen ausgesetzt im Zuge unseres Erwerbs der Mehrheitsanteile an Borealis. Das war eine finanzielle Herausforderung, die wir im vergangenen Jahr glücklicherweise gut bewältigten. Wir werden nun schauen, ob wir zu Achimov nächstes Jahr eine Einigung finden, das Gasfeld bleibt als Option weiter in unserem Portfolio.
Das heißt man muss sich noch finanziell einigen?
Ja, wir müssen uns mit Gazprom auf den Kaufpreis einigen.
Wie wahrscheinlich ist ein Zukauf des Gasfeldes?
Das kann ich erst sagen, wenn wir Gazprom ernsthaft wieder adressieren. Wir haben uns seit langem persönlich nicht gesehen. Es ist bestimmt ein Jahr her, das ich zuletzt nach Russland geflogen bin.
Haben Sie Szenarien, in welcher Größenordnung sich der Bedarf an Öl in den nächsten 30 Jahren ändern wird? Wie hoch wird er zurückgehen?
Durch die Corona-Pandemie sank die Ölnachfrage um etwa 8 Prozent auf unter 100 Millionen Barrel am Tag. Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten ein, zwei Jahren das Vor-Corona-Niveau wieder einstellen wird. Danach hängt es davon ab, wie einzelne Länder auf das Klimaabkommen reagieren werden. Einige Zukunftsanalysen zeigen, dass wir im Jahr 2040 immer noch 50 Millionen Barrel Erdöl am Tag benötigen. Ein substanzieller Anteil geht dann aber in Richtung Rohstoffverarbeitung, und eben nicht in Rohstoffverbrennung.
Die Ölnachfrage wird also langsam zurückgehen. Wie sieht das neue Zeitalter aus?
Erneuerbare Energien werden deutlich an Gewicht zulegen. Vor allem Wasserstoff kann eine industrielle Revolution auslösen. Nicht nur als Energiequelle, sondern auch in den gesamten chemischen Prozessen. Vom Düngemittelbereich bis zur Stahlindustrie.
Der Geologe Frank Melcher von der Montanuni Leoben sagte zuletzt in der "Wiener Zeitung", dass sich Europa durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien von China abhängig macht. Die meisten Metalle, die für Windkraft, Solarenergie und Wasserkraft benötigt werden, werden in China abgebaut. Wie soll man damit umgehen?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt, insbesondere bei der Batterieherstellung. Die Abhängigkeit, die wir bei Öl und Gas spüren, ist eine Abhängigkeit, wo wir viele mögliche Quellen auf unserer Erde haben. Bei den Seltenen Erden haben wir das nicht. Da muss sich etwa die Automobilindustrie Gedanken machen, wie man über langfristige Verträge die Versorgung sichert.
Die OMV setzt auf Recycling im Kunststoffbereich. Wieviel des Materials kann wiederverwertet werden?
Es gibt zwei Arten von Recycling, mechanisches und chemisches. Bei mechanischem Recycling kann etwa die Hälfte des Kunststoffabfalls wieder zu einem Kunststoffprodukt gemacht werden. Das Produkt ist in seiner Qualität jedoch eingeschränkt, man wird damit kein Armaturenbrett für ein Auto erzeugen. Wenn wir im Kunststoff-Bereich eine vollwertige Wiedergewinnung wollen, führt an chemischem Recycling kein Weg vorbei. Außerdem können wir damit zusätzlichen Kunststoffabfall verwerten und so die Recycling-Quote erhöhen. Darauf setzen wir.
Das ist aber sehr energieaufwendig...
Sie haben recht, Recycling verbraucht Energie, um den Kunststoff in ein hochwertiges synthetisches Öl zurückzuverwandeln. Doch die Alternative wäre Kunststoffabfall zu deponieren oder zu verbrennen und wieder Rohöl einzusetzen. Im Vergleich dazu ist Recycling viel klimaschonender. Wir sparen bis zu 45 Prozent der CO2-Emissionen. Wenn wir künftig mit Erneuerbaren Energien recyceln, werden wir noch mehr CO2-Emissionen sparen.
Kann der CO2-Ausstoß gar nicht verhindert werden?
Das muss man schon in Relation setzen. Wir stellen ja Kunststoffe mit einer langen Lebensdauer her, wie zum Beispiel Kunststoffrohre für das Abwassersystem. Die bleiben 50 Jahre unter der Erde, dann holt man sie heraus, recycelt sie, dann halten sie wieder 50 Jahre. Außerdem geht es darum, Müllberge zu verhindern. Die Nachfrage nach Kunststoffen steigt massiv. Sie werden für den Bau von Elektro-Autos verwendet, um das Gewicht und damit den Energieverbrauch zu reduzieren. Mit dem Recycling verhindern wir also eine Belastung der Natur mit zu viel Müll.
Wo sehen Sie die OMV in zehn Jahren?
Unser wichtigstes Standbein wird im Chemie-Bereich liegen. Ich betone dabei: Chemie und nicht Kunststoffe. Wir werden eine hohe chemische Diversifizierung haben. Und wir werden eine Rückwärtsintegration der Raffinerien anstreben, mit immer geringeren CO2-Ausstößen. Bei der Öl- und Gasförderung werden wir künftig zunehmend ein Gasunternehmen sein. Jetzt reden wir noch über den Bereich Öl und Gas, irgendwann wird es nur noch Gas sein.