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"One Man, One Vote" auf Wienerisch

Von Walter Hämmerle

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Altruismus ist keine politische Kategorie, weshalb auch erlaubt ist, was Gesetze nicht explizit verbieten. Entsprechend deckungsgleich ist das Wiener Wahlrecht mit den Interessen der SPÖ.


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Eigentlich ist die SPÖ ja gegen die Einführung eines Mehrheitswahlrechts. Man fürchtet die Verdrängung kleinerer Parteien aus dem Parlament, so die hehre demokratiepolitische Argumentation.

Gegen ein mehrheitsförderndes Wahlrecht, das die kleineren Parteien über Gebühr von der politischen Macht fernhält, gibt es dagegen keine Einwände von Seiten der Kanzlerpartei - schon gar nicht aus der Wiener SPÖ. Immerhin hat sich die Rathaus-Partei ein Wahlrecht auf den eigenen Leib maßgeschneidert, das perfekt ihren eigenen Interessen entspricht.

Die Ausgestaltung des Wahlrechts ist eben nur die Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung mit anderen Mitteln. Deshalb dürfen im schwarzen Niederösterreich und im roten Burgenland Zweitwohnsitz-Besitzer wählen, in Wien dagegen nicht.

Wie sehr das Wiener Wahlrecht der strukturellen Mehrheitspartei entgegenkommt, veranschaulichen die Ergebnisse der Gemeinderatswahlen 2001 und 2005: Vor neun Jahren reichten der SPÖ bescheidene 46,9 Prozent der Stimmen, um eine solide absolute Mehrheit von 52 der insgesamt 100 Mandate im Gemeinderat zu erringen. 2005 reichten 49,09 Prozent für beachtliche 55 Mandate. Ein SPÖ-Mandat hatte bei der letzten Wahl den Gegenwert von exakt 6065 Stimmen; bei der ÖVP, der zweitstärksten Partei, waren dies 7085, bei den Grünen 7102 und bei der FPÖ 7752 Stimmen. Der demokratische Urschrei "One Man, One Vote" würde eigentlich anderes vermuten lassen.

Das Wiener Wahlrecht weist damit den mit Abstand stärksten mehrheitsfördernden Einschlag aller Landeswahlrechte auf. Für den Nationalrat gilt hingegen, dass nur eine absolute Mehrheit an Stimmen auch eine ebensolche Mehrheit an Mandaten erbringen kann.

Der "Trick" der Wiener Landeswahlordnung - gedeckt durch eine verfassungsrechtliche "Kann"-Bestimmung - liegt in der Aufteilung der Restmandate: Während die Grundmandate im ersten Ermittlungsverfahren auf Bezirksebene noch durch das Verhältniswahlrecht bestimmt werden, ist das beim zweiten (und letzten) Ermittlungsverfahren auf Stadtebene nicht mehr der Fall. Hier werden nur noch die zuvor nicht zum Zug gekommenen Reststimmen bei der Errechnung der Restmandate berücksichtigt - ohne Miteinbeziehung der von einer Partei bereits erzielten Mandate.

In ihrer Verzweiflung angesichts dieser SPÖ-freundlichen Verzerrungen schreckt die chronisch zerstrittene Wiener Opposition nicht einmal mehr vor einem gemeinsamen Vorgehen zurück. Im Mai haben sich Christine Marek, Maria Vassilakou und Heinz-Christian Strache per Notariatsakt verpflichtet, im Falle eines Verlusts der roten Absoluten bei den Wahlen am 10. Oktober das Wiener Wahlrecht im Sinne einer größeren Verhältnismäßigkeit zu reformieren.

Dieser politischen Willenserklärung wollen ÖVP und Grüne auch im Falle einer allfälligen Koalition mit der SPÖ nachkommen. Kaum anzunehmen, dass Michael Häupl und die Seinen dieses Atout freiwillig aus der Hand geben. Sollten Schwarz und Grün selbst im Angesicht von Stadtratsposten mit Portefeuille in dieser Frage nicht einen Schwächeanfall erleiden, würde dies für Wien eine politische Sensation werden. Sicher ist das jedoch keineswegs.

Und das gilt auch für den Verlust der SPÖ-Absoluten. Demoskopen attestieren Michael Häupl auch zehn Tagen vor der Wien-Wahl intakte Chancen auf 46 Prozent - und damit auf die absolute Mandatsmehrheit.