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"One man, one vote" - eine gleichberechtigte Stimme für jeden Bürger: Das war einmal der vorgestellte Idealzustand einer egalitären Demokratie. Und wie fast immer, wenn man ein Ziel endlich erreicht hat, macht man sich sogleich auf die Suche nach neuen. Etwa möglichst viele, ja am besten alle Menschen zu ermächtigen, selbst ihre Stimme zu erheben: Das war so eine neue Vision auf dem Weg zu einer immer noch besseren Gesellschaft, einer noch perfekteren Demokratie. Also: "One man, one vote, one voice."
Mittlerweile ist auch dieses Ziel in erstaunlichem Ausmaß erreicht, den Sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co sei Dank. Wer das Bedürfnis verspürt, seiner eigenen Stimme Gehör zu verschaffen, hat nun das technische Werkzeug dafür in der Hand. Das Ganze praktisch zum Nulltarif und sogar mit leicht steuerbarem Lautstärkenregler.
Der damit einhergehende fortgesetzte Strukturwandel der Öffentlichkeit hat zu vielen Fortschritten geführt: Die Debatten sind vielfältiger, offener, transparenter und damit auch überraschender und mitunter sogar unterhaltsamer geworden. Alles kein Nachteil, wenn es darum geht, möglichst vielen die Teilhabe an der Res publica, den Angelegenheiten, die alle betreffen, zu ermöglichen.
Und trotzdem liegt das öffentliche Gespräch über Politik unverändert im Argen, vielleicht sogar stärker als zuvor.
Die Bürger haben sich Augenhöhe mit ihren Politikern erarbeitet - und manche beanspruchen sogar die Rolle als Souverän wortwörtlich. Haben früher die Regierenden ihre Wahrheiten von der Bühne dekretiert, während das Publikum die Wahl zwischen stummem Nicken und lautem Applaus hatte, beharren jetzt die Wutbürger auf den gleichen Spielregeln nur mit verkehrten Rollen: Jetzt pochen nämlich sie auf ihre "Wahrheiten", und Widerspruch wird nicht geduldet. Die Vorstellung, dass "die da oben schon wissen, was sie tun", stammt aus einer anderen Zeit, einer anderen Wirklichkeit.
Es hat schon sein Gutes, Politikern mit einem gesunden Maß an Misstrauen zu begegnen und ihre Verantwortlichkeit einzufordern. Sie mit Lust bloßzustellen und ihnen alle Autorität abzusprechen, ist dagegen ein Schuss ins eigene Knie. In die Politik gehören nicht nur Besserwisser, sondern vor allem Bessermacher. Und in der Demokratie gilt das für alle Beteiligten.