)
In Italien nur ein Todesfall pro 95.000 Operationen. | Zentralisierung könnte Sterblichkeitsrate senken. | Wien. In den letzten Wochen wurde bekannt, dass wieder ein Kind an den Komplikationen einer Mandeloperation starb. Laut Medien war es innerhalb eines Jahres das sechste Kind. Wenn man bedenkt, dass es in diesem Zeitraum in etwa 9000 Mandeloperationen gab, dann bedeutet dies eine Sterblichkeit von 1:1500. In der Literatur findet man eine Rate von 1:16.000 bis 1:35.000. In Italien stirbt gar nur ein Patient pro 95.000 Operationen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im besten Gesundheitssystem der Welt, wie vielfach über Österreich gesagt wird, sollte man aber höchstens einen Todesfall in vier bis zehn Jahren zu beklagen haben.
Die wichtigste Komplikation bei eine Mandel-OP ist die Nachblutung. Sie tritt bei drei bis vier Prozent aller Patienten auf. An den Nachblutungen entbrennt aktuell auch die Diskussion, ob man die Kinder länger im Spital lassen sollte. Eine eigenartige Maßnahme, denn mehr als 80 Prozent aller Nachblutungen treten innerhalb der ersten vier Stunden nach der Operation auf.
Ein Vergleich der Behandlungsergebnisse und Komplikationsraten in anderen Ländern zeigt, dass sowohl die tagesklinische als auch die stationäre Behandlung die gleichen Resultate erbringt. Wenn man aber an das Kind denkt und die psychische Belastung, die jede stationäre Behandlung nach sich zieht, dann ist die Entscheidung für die tagesklinische Behandlung eigentlich logisch.
Wird zu schnell zum Messer gegriffen?
In Italien, das mit einem Todesfall pro 95.000 Operationen wahrscheinlich die beste Versorgung für seine Bevölkerung bereitstellt, werden nur elf Operationen pro 10.000 Einwohner durchgeführt. In Österreich sind es 67. Wird also in Österreich zu schnell zum Messer gegriffen?
Als Argument wird gerne angeführt, dass eine geplante Operation viel weniger Komplikationen bringt, als wenn man in eine vereiterte Mandel hineinoperieren muss. Das stimmt leider nicht. Genauso in das Reich der Märchen ist die Aussage zu verbannen, dass mit der Mandeloperation häufige Halsentzündungen oder Mittelohrentzündungen vermieden werden können.
Genaugenommen gibt es bei einer so hohen Sterblichkeitsrate wie in Österreich gar keine Begründung für eine Mandeloperation. Will man also Nachblutungen wirklich verhindern, dann müssen die Operationen auf das medizinisch notwendige Maß reduziert werden, nicht die stationären Aufenthalte verlängert.
Aber auch eine Zentralisierung könnte helfen, die Sterblichkeit zu reduzieren. Es ist in anderen Gesundheitssystemen nachgewiesen worden, dass es eine Erfahrungswertkurve für die Mandeloperation gibt. Und noch mehr. Die Nachblutungsrate bei Patienten, die durch einen geübten Krankenhausarzt behandelt wurden, ist halb so hoch, wie die bei Konsiliarärzten oder Assistenzärzten. Überdies werden in Österreich Mandeloperationen in so gut wie jedem Spital angeboten, unabhängig ob es dort eine HNO-Abteilung gibt oder nicht.
Aber weder eine OP-Reduktion noch eine Zentralisierung sind Maßnahmen, die hierzulande diskutiert werden. Müssen Sie ja auch nicht, weil man ja davon ausgehen kann, dass die österreichischen Daten einem Vergleich mit anderen Ländern nicht bedürfen.
Leider sind es nicht nur die Mandeloperationen, an denen man manches feststellen könnte. Ein anderes Beispiel ist die Blinddarmoperation. Es gilt als gesichert, dass pro 100.000 Einwohnern etwa 85 Blinddarmentzündungen auftreten. Da man im Falle eines Verdachts auf eine Entzündung bereits operieren sollte, ist es internationaler Standard, dass etwa 20 Prozent der entfernten Blinddärme keine Entzündung gehabt haben dürfen - nicht mehr. Die Diagnosemöglichkeiten sind heute soweit ausgereift, dass, legt man es darauf an, dieser Wert sogar auf 10 Prozent gesenkt werden kann. Damit würde man erwarten, dass in einem guten Gesundheitssystem nicht mehr als 95 bis 100 Blinddarmoperationen pro 100.000 Einwohner durchgeführt werden. In Österreich, dem Land in dem sehr, sehr viele "kleine" Krankenhäuser um ihre Rechtfertigung kämpfen, werden jedoch 175 Operationen pro 100.000 Einwohner durchgeführt.
Zwar liegen aus Österreich keine Daten über die Sterblichkeit vor, aber aus anderen Gesundheitssystemen weiß man, dass bei einer von 400 Operationen der Patient stirbt. In Österreich werden etwa 14.000 Blinddarmoperationen pro Jahr unter dem Titel Blinddarmentzündung durchgeführt. Das sind verglichen mit anderen Ländern jährlich 6000 Operationen mehr als erwartet.
Selbstkritik würde die Qualität heben
Kann es vielleicht doch sein, dass das vielzitierte "weltbeste" Gesundheitssystem strukturelle Probleme hat? Und genau diese Frage ist es, die man in Österreich nicht stellt. Dabei täte es dem heimischen Gesundheitssystem gut, ein bisschen wissenschaftlich fundierte Selbstkritik zu üben. Würde eine solche Kritik möglich sein, könnte es nicht nur einen Quantensprung in der Qualität und Patientensicherheit bedeuten, sondern paradoxerweise sogar günstiger werden. Und nur dann und auch nur vielleicht besteht die Möglichkeit das beste Gesundheitssystem zu werden.

)
)
)