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Schuld ist, das muss man wohl ganz klar so sagen, Anna Netrebko. Lange ist es her, dass eine despektierliche Aussage eines Klassikkritikers über eine Sängerin, wie jene der "Kredenz auf Radln" von Karl Löbl, es bis zum Gerichtsprozess schaffte. Das liegt daran, dass solche Assoziationen heutzutage nur in den seltensten Fällen aus dem Unterbewusstsein tauchen können. Denn auch in der Oper, einst Hort des stolzen und berechtigten Leibesumfangs, ist die Untergrößenästhetik eingezogen. Taillen sind keine Rarität mehr, seit sich Geigerinnen und Opernsängerinnen - die Netrebko war Pionierin - auf PR-Fotos und Album-Covers in Pose werfen, als wär’s ein "Vogue"-Titelbild. Manch britischer Opernkritiker dürfte sich schon so an den Opera’s-next-Topmodel-Look gewöhnt haben, dass ihm die Manieren abhanden kommen. Anders ist nicht zu erklären, womit sich die irische Mezzosopranistin Tara Erraught zuletzt konfrontiert sah. Nach einem Auftritt als Octavian im "Rosenkavalier" beim Glyndebourne-Opernfestival fühlte sich der "Telegraph" dazu hingerissen, zu schreiben, sie hätte "so eine plumpe Figur", der "Guardian" befand: "Es ist schwer, sich diesen untersetzten Octavian als glaubwürdigen Liebhaber der gertenschlanken Marschallin vorzustellen." Die "Financial Times" übertrieb es schließlich mit der Formulierung "ein molliges Bündel an Babyspeck". An ihrem Gesang und ihrem Spiel hatte keiner der Kritiker etwas auszusetzen. Tara Erraught wird hoffentlich davon absehen, sich auf Diät zu setzen, nur weil ihren Kritikern die nötige Fantasie fehlt.