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Operation Machterhalt

Von Ines Scholz

Politik

Putin räumt vor der Präsidentenwahl in der Opposition und in den eigenen Rängen auf - auch Nawalny spürt den Wind.


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Moskau. Eines muss man Wladimir Putin lassen: Er versteht es, die Justiz im Bedarfsfall so zu instrumentalisieren, dass sie zur richtigen Zeit die richtigen Ergebnisse produziert. Alexej Nawalny, der bekannteste unter den noch nicht ermordeten Oppositionsfiguren in Russland, ist so ein Fall. In etwas mehr als einem Jahr stehen im Land Präsidentenwahlen an - und Nawalny hatte Ende des Vorjahres in einer Videobotschaft verkündet, dass er den Kremlführer, der dann 18 Jahre an der Macht sein wird, bei dem Urnengang herausfordern werde. Am gestrigen Mittwoch wurde dem populären Blogger die Quittung für seine Ambitionen präsentiert: Er wurde zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Mit seinem Kampf gegen das "korrupte Establishment" kommt er bei vielen Russen gut an, vor allem in den Städten. Für den Kreml wurde er zu unbequem.

In Kirow, einer tristen Industriestadt 900 Kilometer nordwestlich von Moskau, befand ein Gericht den 40-Jährigen deshalb für schuldig, als Berater des im Vorjahr von Putin 2015 geschassten Gouverneurs Nikita Belych einer staatlichen Firma Bauholz im Wert von rund 16 Millionen Rubel (etwa 250.000 Euro) gestohlen zu haben. Nawalny wurde politisch kaltgestellt.

Den eine Kandidatur des Putin-Kritikers und Anti-Korruptionsverfechters im März 2018 ist nach dem Urteil unwahrscheinlich. Zwar ist nicht ausjudiziert, ob das für verurteilte Personen geltende Kandidaturverbot in Russland auch bei einer Bewährungsstrafe gilt - aber kaum jemand zweifelt daran, dass diese - politische - Entscheidung kaum zugunsten Nawalnys ausgehen wird. Er kündigte Berufung an.

Der Putin-Kritiker, der es 2013 bei der Moskauer Bürgermeisterwahl auf 27 Prozent gebracht hatte, obwohl die Staatsmedien ihn totgeschwiegen hatten, wurde in dem fragwürdigen Strafprozess bereits vor vier Jahren verurteilt - aufgrund eines Vorwurfs, der schon damals mit manipulierten Zeugenaussagen untermauert worden war. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kippte das Urteil, Russlands Oberstes Gericht musste das Verfahren neu aufrollen. Mit dem gestrigen Resultat hat der Kreml nun ein Problem weniger.

Angesichts von Wirtschaftskrise und sinkendem Wohlstand wächst in der russischen Führung die Angst vor politischen Unruhen und sozialen Massenprotesten. Selbst Gerüchte über einen möglichen Putsch durch den Sicherheitsapparat kursieren in sozialen Medien. Der Kreml reagiert, indem er jede Art von Opposition im Keim erstickt und die Reihen intern neu ordnet - Wahlkampf im Stil Putins.

Der Säuberungswelle fiel etwa Wladimir Kara-Murza zum Opfer. Der ehemalige Weggefährte des 2014 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow fiel zu Wochenbeginn ins Koma, zuvor war er wegen schwerer Vergiftungserscheinungen in eine Moskauer Klinik eingeliefert worden. Sein Zustand ist laut seiner Frau lebensbedrohlich. Der 33-Jährige, der 2015 schon einmal nur knapp eine ominöse Metallüberdosis überlebte, hatte unter anderem in den USA dafür geworben, russische Politiker wegen des Ukraine-Feldzuges auf die Sanktionsliste zu setzen. Seit Putins Machtübernahme 2000 wurden immer wieder Kreml-Kritiker Opfer rätselhafter Vergiftungen. 2003 starb der Journalist Jurij Schtschegotschichin, 2006 wurde der Ex-KGB-Agent Alexander Litwinenko in London durch Polonium ermordet; 2008 erkrankte die Anwältin Karina Moskalenko, die sich darauf spezialisiert hatte, russische Fälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen.

Neu geordnet wird auf Geheiß des Kreml im Vorfeld der Präsidentenwahl auch die Verteilung politischer und militärischer Posten. Putin spricht von einer "Erneuerung" zugunsten der jüngeren Generation - tatsächlich geht es aber um die Manifestierung seiner Macht. Vorige Woche wurden 16 Generäle aus verschiedenen Regionen Russlands von ihren Posten befreit, darunter aus dem Krisengebiet Nord-Kaukasus. Im November wurden sowohl der Verteidigungsminister als auch der Generalstabschef und der Auslandsgeheimdienstchef Michail Fradkow ausgetauscht.

Auch andere Ministerien wurden von der Entlassungswelle erfasst - bis zu den Spitzenposten. Den Startschuss machte im August 2015 der mächtige Eisenbahnminister Wladimir Jakunin, kurz darauf entmachtete Putin seinen engen Vertrauten, Stabschef Sergej Iwanow. Die Karten neu mischt der Kremlführer auch in den Regionen. Zu Wochenbeginn haben die Gouverneure von Perm und Burjatien, Victor Bassugin und Wjatscheslaw Nogowitzin "um ihre Entlassung ersucht". Weitere werden folgen.