Die Wertschöpfungsabgabe spaltet seit Jahrzehnten die politischen Lager.
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Wien. "Ja, das ist ein Tabubruch", sagte der damalige ÖAAB-Generalsekretär Walter Tancsits 1998. Aber: "Probieren wir es aus." Damals befürwortete der Bundesvorstand des mitgliederstärksten ÖVP-Bundes die sogenannte Wertschöpfungsabgabe. Das war durchaus überraschend. Denn als Gesamtpartei lehnen die Christdemokraten die Abgabe bis heute kategorisch ab. Aber die schwarzen Arbeitnehmer haben in ihrer Geschichte immer wieder Forderungen links der Mitte vertreten - schließlich stehen sie auf diesem Terrain in unmittelbarer Konkurrenz zur SPÖ, die die Arbeiter historisch in sich vereinigt sieht. Im dominanteren Wirtschaftsflügel der ÖVP finden neue Steuern naturgemäß wenig Zustimmung. "Es ist legitim, dass der ÖAAB eine andere Meinung hat. Sie ist aber nicht die der ÖVP", sagte der damalige Wirtschaftskammer-Generalsekretär Günther Stummvoll. Damit war das Thema, zumindest 1998, wieder vom Tisch.
Jahre später geistert die Wertschöpfungsabgabe wieder durch Österreich, wird in Zeitungen und Fernsehdiskussion debattiert und spaltet die politischen Lager in der Regierung. Kanzler Christian Kern hat das Thema aufgebracht und die Industriellen gegen sich. Doch warum erhitzt die Abgabe die Gemüter? Worum geht es?
Die Grundfrage hinter dem Gewerkschaftskonzept vieler europäischer Länder aus den 70er und 80er Jahren ist leicht auf den Punkt gebracht: Woher soll das Geld für den Sozialstaat kommen, um auch in Zukunft seine Leistungen zu garantieren? Wenn die Sozialversicherung weiterhin nur von Löhnen und Gehältern abhängig ist, stehe ihr langfristig gesehen immer weniger Geld zur Verfügung und sie müsse zwangsläufig ihre Leistungen reduzieren, so die Befürchtung. Tatsächlich sind hohe Arbeitslosigkeit, die zunehmende Zahl von Teilzeitbeschäftigten, eine sinkende Lohnquote, ein schleppendes Wirtschaftswachstum, die Migrationskrise und nicht zuletzt die Digitalisierung der Arbeitswelt handfeste Faktoren, die den Sozialabgabenfluss langfristig gesehen zunehmend trockenlegen könnten. Es ist also eine schwierige und ideologisch aufgeheizte Verteilungsfrage, die die Lager spaltet.
Demografischer Wandel
Die Wertschöpfungsabgabe sei ein Mittel, um den Sozialstaat zu retten, sagen die Befürworter, darunter an vorderster Front Kanzler Kern. Sie sei Gift für die ökonomische Modernisierung und Investitionen, argumentierten die Kritiker, an der Spitze ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Die Unternehmer waren immer schon dagegen, egal ob zu Zeiten des Ständestaats unter Engelbert Dollfuß in den 1930ern oder in den 1980ern, als Alfred Dallinger (SPÖ) als linker Vordenker Sozialminister war. Dallingers Vorschlag, der vor allem Banken und Versicherungen betroffen hätte, wurde als Behinderung des Fortschritts interpretiert und despektierlich "Maschinensteuer" genannt. Maschinen spielen in dieser Diskussion eine wesentliche Rolle. Durch den technologischen Fortschritt braucht es keine tausenden Fließbandarbeiter mehr, sondern nur noch einige Facharbeiter, die Roboter entsprechend programmieren. Die Digitalisierung ermöglicht es Konzernen mit wenigen Mitarbeitern, Milliardengewinne zu erzielen, während die Löhne der breiten Masse seit Jahren stagnieren oder sogar zurückgehen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass weniger Geld in den Sozialtopf fließt - in prekären Zeiten, wenn man etwa die Alterung der Gesellschaft bedenkt, die einen erhöhten Pflegebedarf erfordert. Das kostet Geld. Nur woher nehmen?
In seltener Einigkeit zeigen sich SPÖ und ÖVP darüber, dass der Sozialstaat keinesfalls über eine weitere Anhebung der Abgaben auf Arbeit finanziert werden kann. Im Gegenteil: Die Steuer- und Abgabenquote, die über 45 Prozent liegt, und die Lohnnebenkosten sollen reduziert werden.
Hier kommt die Wertschöpfungsabgabe ins Spiel. Kerns Plan beinhaltet, dass nicht mehr nur die Lohnsumme als Basis für Sozialbeiträge dient, sondern etwa auch Gewinne und Zinsen auf geborgtes Geld von Unternehmen. Also alles, womit ein Unternehmen einen Wert erwirtschaftet. Deshalb auch der Begriff "Wertschöpfung".
Damit würden kapitalintensive Firmen wie Banken, Immobilien- oder Energiewirtschaft in Zukunft stärker zur Kasse gebeten. Zu den Verlierern würden auch Branchen mit einem hohen Anteil an Selbständigen wie die Landwirtschaft zählen, da diese de facto Beiträge für ihre Arbeitsleistung zahlen. Die Abgabe soll aber das Ungleichgewicht zu personalintensiven Unternehmen (Maschinenbau, Handel, Bauwesen) weitgehend ausgleichen. Die Kombination aus Wertschöpfungsabgabe und Senkung der Lohnnebenkosten soll zudem neue Jobs ermöglichen. Die einzige Studie zum Thema, 1997 durchgeführt vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), prophezeit 13.000 bis 21.000 neue Stellen innerhalb von sieben Jahren nach der Einführung der Abgabe. Industrielle Revolution, neue Arbeitsplätze und eine Entlastung für Unternehmen mit vielen Beschäftigten - klingt wunderbar. Aber die Wifo-Ökonomen schreiben auch von einem "gravierenden Nachteil", der letztlich für die erhitzten Gemüter unter Industriellen verantwortlich ist.
Industrielle Revolution
Der Chefökonom der Industriellenvereinigung Christian Helmenstein fasst diesen Nachteil präzise zusammen: Die Abgabe "senkt die Investitionsneigung heimischer Unternehmen", die ohnehin seit Jahrzehnten sinke. In weiterer Folge werde der technische Fortschritt gebremst, die heimische Wirtschaft verliere an Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Staaten, schließlich würden Unternehmen folglich abwandern. Auch in der Wifo-Studie von 1997 wird angemerkt: "Die Wertschöpfungsabgabe bremst langfristig den technischen Fortschritt und wirkt sich damit ungünstig auf Produktivität und Investitionstätigkeit aus."
Peter Rosner, Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien, hält es für "Unsinn", dass der technische Fortschritt nur aus der Anschaffung von Maschinen bestehen soll. "Es geht auch um qualifizierte Arbeitskräfte - und die sind teuer", so Rosner. Architekturbüros, Schulen oder Spitäler würden nicht nur Maschinen, sondern auch qualifizierte Arbeiter brauchen. "Dafür muss die Arbeit billiger werden." Das könnte die Abgabe leisten.
"Durch die Abgabe ergeben sich vielleicht kurzfristig mehr Jobs", entgegnet Helmenstein. "Aber durch eine Stagnation der Modernisierung wird Österreichs Wirtschaft schon mittelfristig international Marktanteile verlieren - und damit auch Arbeitsplätze." Die Reallöhne der Jobs, die durch Kerns Pläne entstehen, würden laut der Wifo-Studie durch den Produktivitätsverlust zudem langfristig um einen Prozentpunkt sinken. Zusammengefasst: Es würde "ein nahezu gleich hohes Sozialprodukt von mehr Arbeitskräften mit etwas niedrigerem Produktivitäts- und Reallohnniveau produziert" werden, so die Wifo-Ökonomen 1997.
Laut Helmenstein gebe es derzeit keine Indizien dafür, dass eine Erosion der Sozialabgaben in naher Zukunft bevorsteht, ganz im Gegenteil: "Der Trend zeigt, dass die Beitragsgrundlagen und die Sozialabgaben mindestens so stark steigen werden wie die Wirtschaftsleistung." Damit fehle die Grundlage, überhaupt über eine Wertschöpfungsabgabe nachzudenken. Auch kann er den Alarmismus bezüglich der Digitalisierung der Arbeitswelt nicht nachvollziehen. "Länder wie Südkorea, Japan und Deutschland sind nicht nur weiter, was die Robotisierung und Digitalisierung angeht, es sind die führenden Länder in diesem Bereich. Sind dort hohe Arbeitslosenraten zu beobachten? In diesen Ländern sollten die erwarteten Verluste doch schon zu sehen sein. Dem ist aber nicht so", sagt Helmenstein.
Stochern im Nebel
Aus Sicht von Margit Schratzenstaller-Altzinger, Wifo-Expertin für Steuerpolitik, "stochern in dieser Diskussion viele im Nebel". Dass die Sozialabgaben so stark wie die Wirtschaftsleistung steigen, sei "eine Momentaufnahme". Für eine fundierte Aussage zur Wirkung einer Wertschöpfungsabgabe an sich würden die Kenntnisse fehlen. "Hier gibt es ein Forschungsdefizit", sagt sie. Die Abgabe sei Symbol eines Stellvertreterkriegs, der eine evidenzbasierte Debatte über die Zukunft des Sozialstaats unmöglich mache. "Aber diese ist dringend notwendig", sagt Schratzenstaller-Altzinger. "Stattdessen wird eine Finanzierungsoption isoliert diskutiert - es fehlt die Gesamtperspektive."
Es sei zu überlegen, wie man die "nicht tragbare Belastung" auf Arbeit kompensieren und wie das Abgabensystem einen größeren Beitrag zu Herausforderungen wie der Digitalisierung oder der Schere zwischen Arm und Reich leisten kann. Dabei müssten Steuern nicht "das erste Mittel sein". Bei den Staatsausgaben gebe es Ineffizienzen, die sich etwa durch Mehrgleisigkeiten im Föderalismus ergeben. Eine Reform des Gesundheits- und Fördersystems oder der Schulverwaltung seien Baustellen. "Im Herbst gibt es ein Zeitfenster, um diese Dinge anzugehen", sagt Schratzenstaller-Altzinger. Das sei eminent, heuer läuft der Vertrag für den Finanzausgleich aus. Darin wird festgelegt, wie ein erheblicher Teil der 85 Milliarden Euro des Bundes auf Länder und Gemeinden aufgeteilt wird. Aber das ist eine andere Verteilungsfrage.