So sind wir doch: Prominente Rücktritte sind extrem selten - und bleiben folgenlos.
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"Aus Frust, weil die Politik die langfristige Sicherung der Pensionen, aber auch der Pflege nicht ernst genug nimmt", ist der Chef der Alterssicherungskommission, zurückgetreten: Walter Pöltner, seinerzeit Kurzzeit-Sozialminister nach Ibiza in der Übergangsregierung 2019, später von Kanzlerin Brigitte Bierlein bestellter oberster Pensionsschützer, kundig, kompetent, sachorientiert, Honorarprofessor für Sozialrecht, nach einem Studium im zweiten Bildungsweg, jahrzehntelang Sektionschef, aufrechter Sozialdemokrat, unabhängig und kritisch auch gegenüber der eigenen Gesinnungsgemeinschaft, als Fachmann und Freigeist parteiübergreifend geschätzt, einer der Väter des Pensionskontos seit 2014 und einer der nur ein paar Dutzend Österreicher, die Pensionssysteme verstehen und wissen, wovon sie reden und was sie tun. Selbst wenn man, wie ich selbst, nicht immer einer Meinung ist.
Würde so jemand woanders zurücktreten - etwa Bert Rürup in Deutschland, Lord Turner in Großbritannien, Elsa Fornero in Italien, Frank Vandenbroucke in Belgien, Marek Gora oder Agnieszka Chlon-Dominczak in Polen, Bo Könberg in Schweden -, gäbe es ein mittleres bis schweres politisches Beben, eine Regierungskrise oder Ministerrücktritte. In Österreich dagegen: komplizenhaftes Totschweigen fast aller Parteien und Verbände. Wurscht, Kusch, Ruhe, nix is g’schehn, bitte wegschauen, weitergehen, rasch vergessen. War da was, war da wer?
Der Umgang Österreichs mit dem Rücktritt Pöltners ist ein Lackmustest unserer Unernsthaftigkeit, ein Ausweis als Operettenstaat. Oder hätte man den Rückzug der Präsidenten des Fiskalrates - der Professoren Christoph Badelt, Martin Kocher, Gottfried Haber, Bernhard Felderer, Helmut Frisch - gleichermaßen ignoriert? Offensichtlich wollen unsere Regierenden keine evidenzbasierte, experimentelle, empirisch fundierte, wissenschaftlich angeleitete Politik der besten Köpfe, keine "Plenipotentiary"-Experten, sondern "steuerbare", brave Ja-Sager, die keiner ernst nimmt.
All das gab es lange vor der türkisen Neuen Volkspartei unter Kanzler Sebastian Kurz. Deren Erhöhung kleiner Pensionen um bis zu 3 Prozent gegen alle Einwände habe, so Pöltner, das Fass zum Überlaufen gebracht, eine langfristige Generationenbalance sei immer schwieriger. Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) ist dennoch "zufrieden" mit der "guten Regelung" und ignoriert den Rückritt Pöltners wortlos.
Ich selbst teile übrigens, wie öfters, Pöltners Einschätzung nur teilweise. So auch zur Staffelung der Pensionsanpassung. Ich wäre für kluge, bessere und gesetzlich gedeckte Stufenmodelle durchaus zu haben, statt das Pensionsharmonisierungsgesetz 2004, das nur eine Teuerungsabgeltung nach dem Verbraucherpreisindex für alle vorsieht, in 18 Jahren 15 Mal zu verletzen. Die wohlfühlpopulistische, seit 2018 alljährliche Ho-ruck-Geldverschwendung hunderter Millionen Euro nach Gutsherrenart an hunderttausende Zweit-Kleinpensionisten, die nicht arm sind, ist freilich zu dumm und verantwortungslos. Doch statt lebendiger öffentlicher Debatten um beste Praktiken der Wertsicherung gibt es dumpfe Ruhe im Karton.