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Opernball und Europarecht

Von Waldemar Hummer

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Dass die Ausstrahlung des Neujahrskonzertes und des Wiener Opernballes im ORF etwas mit der EU zu tun hat, ist selbst österreichischen Juristen nicht unmittelbar einsichtig. Die (grenzüberschreitende) Ausstrahlung von Fernsehsendungen fällt gemeinschaftsrechtlich aber unter die Dienstleistungsfreiheit. Fernsehveranstalter und. Kabelbetreiber dürfen keine Tätigkeiten entfalten, die den Wettbewerb innerhalb der EU verzerren könnten.


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Die Fernseh-Richtlinie

Die erste Regelung, die diesbezüglich noch in der Europäischen Gemeinschaft getroffen wurde, war eine Richtlinie (RL) des Rates aus dem Jahre 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsländer zum Fernsehen. 1997 wurde sie durch eine weitere RL geändert (Amtsblatt EU 1997, L 202/60). In Artikel 3a dieser RL wird den einzelnen EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, Maßnahmen zu ergreifen, damit Fernsehveranstalter Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung nicht ausschließlich so übertragen, dass einem bedeutenden Teil der Öffentlichkeit die Möglichkeit vorenthalten wird, das Ereignis im Wege direkter oder zeitversetzter Berichterstattung in einer TV-Sendung zu verfolgen. (Ein bedeutender Teil sind übrigens mindestens 70 Prozent der rundfunkgebührenpflichtigen Hörer.)

Mit anderen Worten bedeutet das, dass der ORF Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung unbedingt (auch) dem heimischen Publikum entweder live oder zeitversetzt anzubieten hat.

Erhebliches Ereignis

Was nun solche Ereignisse von "erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung" sind, ist gemäß dem Fernseh-Exklusivrechte-Gesetz (BGBl. I Nr. 85/2001) zu bestimmen: Das Ereignis müsse unter anderem "Ausdruck der kulturellen, künstlerischen oder sozialen Identität Österreichs" sein. In Ausführung dieses Gesetzes spezifiziert die Verordnung der Bundesregierung über ebensolche Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung (BGBl. II Nr. 305/2001) diese Kriterien in folgender Weise: (1) Olympische Sommer- oder Winterspiele, (2) Fußballspiele der FIFA-Weltmeisterschaft (Herren), sofern an diesen Spielen die österreichische Nationalmannschaft teilnimmt, (3) Fußballspiele der Europameisterschaft (Herren), sofern an diesen Spielen die österreichische Nationalmannschaft teilnimmt, (4) Finalspiel des österreichischen Fußballcups, (5) Alpine FIS Skiweltmeisterschaften, (6) Nordische FIS Skiweltmeisterschaften, (7) Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker und (8) Wiener Opernball. Durch Beschluss der Europäischen Kommission (Amtsblatt EU 2007, L 180/11) wurden diese Maßnahmen vom Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs ausgenommen und auch ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsregeln im Gemeinsamen Markt festgestellt.

Panem et circenses

"Panem et circenses", Brot und Spiele, mit ein bisschen Hochkultur - wie weit decken sich eigentlich diese Ereignisse von "erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung" mit der "kulturellen, künstlerischen oder sozialen Identität Österreichs" im Sinne des Fernseh-Exklusivrechte-Gesetzes? Definiert sich Österreich wirklich - in einem ORF mit gesetzlichem Bildungsauftrag - über sportive Aktivitäten wie Olympische Spiele, Fußball und Skifahren, verbrämt mit etwas "society event" (Opernball) und etwas Hochkultur (Neujahrskonzert)? Ein Blick über die Grenze relativiert aber diese Befürchtung: Italien meldet neben Olympischen Spielen und Fußball auch nur den Giro d´Italia, den großen Preis von Italien in der Formel I und das Musikfestival von San Remo an, Deutschland überhaupt nur Olympische Spiele und Fußball - nicht einmal das Oktoberfest. Lieb Österreich, magst ruhig sein!