Pegidas Kampf gegen die "Lügenpresse" im Angesicht der toten Journalisten von "Charlie Hebdo".
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Dresden/Wien. Meist sind Pegida-Demonstranten Männer, in Sachen Alter aber bunt gemischt. Bei den Kundgebungen der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" stehen neben Grüppchen von 20-Jährigen mit Deutschlandflagge, die jeden Redner frenetisch akklamieren, schweigende Pensionisten. Im schallenden Einklang sind alle Altersgruppen nur bei zwei Sprechchören: "Wir sind das Volk" und "Lügenpresse".
Die von Pegida verwendete Wort "Lügenpresse" baut auf mehreren historischen "Vorbildern" auf; der spätere NS-Propagandaminister Joseph Goebbels sprach von der "roten Lügenpresse", in der DDR wurde die "kapitalistische Lügenpresse" delegitimiert. Unter Lügenpresse versteht die Pegida-Gruppe um den vorbestraften Initiator Lutz Bachmann schlicht alle Mainstream-Medien, von der konservativen "FAZ" bis zur linksliberalen "Süddeutschen Zeitung", vom Norddeutschen Rundfunk bis zum Nachrichtenkanal N24. Interviews werden in der Regel verweigert, nur ganz wenige Ausnahmen wie zuletzt für das Online-Magazin "blu news" gemacht. Dieses verkauft seine rechtspopulistischen Inhalte unter dem Etikett "bürgerlich - liberal - unabhängig", ein sogenanntes "Dokumentationsprojekt" namens "Der Prophet im Islam" inklusive. Kritische, verallgemeinernde bis abschätzige Texte zum Islam werden darin repliziert, darunter "Stoppt die islamische Kolonialisierung Europas".
Selektiv und pauschalierend
Derartige Formulierungen würden Bachmann und seine Freunde nicht benutzen. Befreundete Medien erledigen die Schmutzarbeit, während sich Pegida in der Diktion weichgespült gibt. Auch grenzt man sich öffentlich von der rechtsextremen Partei "pro NRW" als Trittbrettfahrer ab, die zu Kundgebungen mit Pegida-ähnlichen Namen aufruft.
Die Pegida-Praxis ist eine Mischung aus selektiven Fakten und pauschalisierenden Vorwürfen. "Qualitative Zuwanderung" nach dem Vorbild der Schweiz und Kanadas solle es in Deutschland geben. Das klingt vernünftig. Bachmann verknüpft aber diesen Fakt - die Migrationspolitik andernorts - am Montag in Dresden mit "momentan gängiger, unkontrollierter quantitativer Zuwanderung" nach Deutschland. Meta-Botschaft: Darüber und über jene "Überfremdung", die Bachmann ebenfalls anprangerte, berichtet die "Lügenpresse" nicht. Deren Opfer sind die Bürger.
Tatsächliche Opfer, nämlich die Toten der Terroranschläge vergangene Woche in Paris, standen diesen Montag im Mittelpunkt Pegidas. Französische Karikaturisten verwahrten sich mittels Zeichnungen gegen die vermeintliche Solidarität Pegidas mit der Redaktion von "Charlie Hebdo". Lutz Bachmann forderte zwar die Demonstranten zur Mäßigung auf, als diese wieder wie üblich "Lügenpresse" intonieren wollten. Der Pegida-Mastermind meinte jedoch gegenüber seinen Anhängern, er empfinde die Anti-Pegida-Karikaturen als Vertrauensbeweis: "Ja, ihr hört richtig, ich bin stolz darauf, denn sie tun dies nur, weil sie sicher sind, dass wir uns nicht auf eine barbarische Art wie die Täter von Paris rächen werden."
Doch für solch Anerkennung ist die "Lügenpresse" nicht zu haben. Sie stellte auch nicht die neuerlich stark gestiegene Teilnehmerzahl bei Pegida in den Mittelpunkt der Berichterstattung; 25.000 Personen waren es am Montag, 7000 mehr als in der Woche zuvor. Stattdessen galt das Augenmerk jenen 100.000 Bürgern, die in mehreren deutschen Städten gegen die Bewegung demonstrierten. Alleine in Leipzig standen 30.000 Anti-Pegida-Aktivisten 4800 Anhängern gegenüber. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel nahm am gestrigen Dienstag ebenso wie Präsident Joachim Gauck an einer von muslimischen Verbänden organisierten Mahnwache vor dem Brandenburger Tor teil. "Bevölkerungsgruppen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft auszugrenzen, das ist unseres freiheitlichen Staates nicht würdig", erklärte die Regierungschefin.
Unwort des Jahres
Immerhin eine Auszeichnung erhielten die Pegida-Initiatoren für ihre "Lügenpresse"-Kamapagne - wenn auch von ungewünschter Stelle: Darmstädter Wissenschaftler kürten "Lügenpresse" zum deutschen Unwort des Jahres 2014. Einem Großteil der sogenannten besorgten Bürger, die den Begriff skandierten und auf Transparenten trügen, sei die Geschichte des Wortes vermutlich nicht bewusst. Das mache den Ausdruck "zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen", so das Urteil der Jury, in der neben vier Sprachwissenschaftler auch zwei Journalisten vertreten sind. Typisch "Lügenpresse" eben.