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Opferzahlen beruhen auf grober Schätzung

Von S. Srinivasan

Politik

Ganze Heerscharen von Helfern registrieren im asiatischen Katastrophengebiet die geborgenen Leichen. Eine präzise Zahl der Todesopfer kann jedoch nicht erwartet werden. Zwar bemühen sich die Helfer beispielsweise in Indien um möglichst genaue Angaben bei der Identifizierung, doch wo Bulldozer Tote zur raschen Beisetzung in | eiligst ausgehobene Massengräber schieben, können Zahlen nur geschätzt werden.


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Bis zum Donnerstag wurden jedenfalls in elf asiatischen und afrikanischen Ländern offiziell rund 78.000 Tote bestätigt. Das Internationale Rote Kreuz befürchtet aber, dass die Zahl bald die Marke von 130.000 übersteigen könnte. In Indien registrieren Regierungsbeamte und Polizisten jeden Toten genau mit Namen, Alter, Namen der Eltern, Adresse und besonderen Kennzeichen. Von jeder Leiche wird ein Foto gemacht. Bis zum Donnerstag wurden 7.330 Tote gemeldet, allerdings galten noch tausende weitere Menschen als vermisst.

Sri Lanka verfährt ähnlich. Dennoch nennen Armee, Polizei, das nationale Katastrophenzentrum und die Regierung jeweils verschiedene Opferzahlen. Nach Angaben des Katastrophenzentrums kamen auf der Insel mehr als 22.000 Menschen in der Flutwelle ums Leben. Auf die Frage, ob die Regierung die verschiedenen Zuständigkeiten nicht so koordinieren könne, dass Einigkeit über die Opferzahl herrscht, antwortete der Direktor des Zentrums, Nimal Hettiarchchi: "Tut mir leid, fragen Sie mich das nicht."

In Indonesien, dem mit vermutlich 80.000 Toten am schwersten von der Katastrophe betroffenen Land, räumen die Verantwortlichen ein, dass sie zu groben Schätzungen gezwungen sind. So wurden beispielsweise die Toten in einem Massengrab gezählt und auf die Zahl der Toten in anderen Massengräbern übertragen. In anderen Fällen wurde die Bevölkerungszahl eines Dorfes geschätzt, danach wurden die Überlebenden gezählt. Die Differenz wurde als Zahl der Toten in dem Dorf angenommen. "Zuerst haben wir die Leichen noch einzeln gezählt, aber später haben wir einfach zu viele gefunden, das hat uns überfordert", sagt Irman Rachman, ein freiwilliger Helfer des indonesischen Roten Kreuzes. "Deshalb haben wir unseren Schätzungen die Zahl der Leichen in den Massengräbern zu Grunde gelegt - ein Massengrab für etwa 400 Tote."

In muslimischen Regionen stimmten die Geistlichen Massenbeisetzungen zu. In vielen Dörfern Sri Lankas beeilten sich die Bewohner, ihre Toten den Regeln des Islams gemäß binnen 24 Stunden zu bestatten, noch bevor die offizielle Zählung begann. "Ich bin sicher, dass es tausende Varianten dieses Szenarios gibt", meinte der Indien-Direktor der internationalen Hilfsorganisation CARE, Steve Hollingworth. "Die Leute hier stehen vor einer chaotischen Situation, sie müssen mit vielen Mängeln fertig werden."

In der indonesischen Provinz Aceh wurden am Mittwoch hunderte Tote von Bulldozern in ausgehobene Gruben geschoben. Keiner der Toten wurde fotografiert, niemand hielt ihre Namen oder sonstige Erkennungsmerkmale fest. "Wir müssen das tun wegen des Verwesungsgeruchs und des Gesundheitsrisikos", erklärte der Gouverneur der Provinz Aceh, Azwar Abu Bakar. "Wir haben keine Kühlräume, um diese Leichen aufzubewahren." Viele Witwen sind allerdings auf eine Sterbeurkunde angewiesen. Können sie keine vorweisen, droht ihnen ein Leben in Armut, da sie dann keine Renten oder Entschädigung erhalten. Wer nicht schreiben kann, hinterlässt bei der Identifizierung der Angehörigen nur einen Daumenabdruck auf einem Formular, das den Anspruch auf einen Totenschein und damit auf eine Entschädigung der Regierung sichert.

Dass das Zählen der Toten schwierig ist, dazu trägt neben einer chaotischen Verwaltung auch die geographische Abgeschiedenheit mancher betroffenen Gebiete bei. In Indonesien ist die letzte Volkszählung zwölf Jahre her, in vielen abgelegenen Regionen des Landes gibt es gar keine schriftlichen Aufzeichnungen über Geburten und Todesfälle. AP