Zehntausende Demonstranten fordern Rücktritt von Ministerpräsident Orban.
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Budapest. Vom Auftakt zu einem heißen Herbst mag in Budapest kaum jemand sprechen. Schließlich würden damit die Erinnerungen an die Ereignisse im Herbst 2006 nach Bekanntwerden der "Lügenrede" des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany wach. Tagelang bestimmte der Mob das Geschehen in der Budapester Innenstadt, nachdem an die Öffentlichkeit gedrungen war, dass der Sozialist vor Parteigenossen eingeräumt hatte, die Regierung habe den Zustand der Volkswirtschaft vorsätzlich vor dem Volk beschönigt.
Der heutige Ministerpräsident Viktor Orban profilierte sich damals als Retter der Nation und legte damit den Grundstein zu seinem Erdrutschsieg bei den Parlamentswahlen im Vorjahr. Doch diesmal könnte sich das Blatt gegen ihn wenden. Denn in der Metropole gärt es gewaltig.
Damit ist ein Szenario eingetreten, vor dem Politologen schon länger warnen. Bis Herbst 2011 müsse Orban unter Beweis stellen, dass er Probleme wirklich löse, ansonsten werde er trotz Zwei-Drittel-Mehrheit so kläglich scheitern wie seine Vorgänger, heißt es etwa in einer kurz nach dem Machtwechsel erschienenen Studie der Central European University in Budapest. Das erlebt in diesen Tagen den ersten ernstzunehmenden Versuch eines geballten Feldzugs der Opposition. Wichtigste Schauplätze sind dabei der Kossuth-Platz vor dem Parlament und das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft.
Parolen gegen "Viktator"
Dort wurde Ferenc Gyurcsany am Montag als Beschuldigter im Zusammenhang mit der Sukoro-Affäre eingestuft. Im September war seine parlamentarische Immunität aufgehoben worden. Danach wurde gegen ihn ermittelt, weil er im Zusammenhang mit einem bei Budapest geplanten Casinokomplex einen Immobilientausch durchgesetzt haben soll, durch den dem Fiskus ein Schaden von umgerechnet 4,5 Millionen Euro entstand. Rund 1500 Menschen pilgerten zur Generalanwaltschaft, um ihre Solidarität für Gyurcsany auszudrücken. Er selbst spricht von einem "politischen Rachefeldzug gegen mich". Den umstrittenen Casinobau will er nur eingefädelt haben. Gegen die Einstufung als Beschuldigter hat er Beschwerde eingelegt. All das wirkte wie das wohlüberlegte Schlusswort zu den Demonstrationen vor dem Parlament.
Fünf Tage lang waren Tausende von Menschen den Aufrufen mehrerer Gewerkschaften gefolgt, um ihren Unmut über die aus ihrer Sicht nicht länger erträgliche Politik von Viktor Orban zu bekunden. Zudem wurde eine Bewegung mit dem Namen "Solidarität" gegründet. Die Proteste hatten ihren Höhepunkt am Samstag erreicht, den die Veranstalter zum "D-Day" erklärt hatten. Nach offiziellen Angaben forderten an diesem Tag 10.000, nach Angaben der Veranstalter 50.000 Menschen den Rücktritt von Viktor Orban. Staatspräsident Pal Schmitt wurde eine zehn Punkte umfassende Petition überreicht.
Die Demonstranten, die ihre Plakate mit Parolen wie "An die Arbeit Orban" und "Zurück zur Republik" oder auch einfach mit "Viktator" versehen hatten, warfen dem Premier vor, systematisch die Demokratie auszuhebeln, und forderten unter anderem seine Abkehr von den jüngsten Plänen zur Änderung des Arbeitsrechts und ein gerechtes Steuersystem. In ihrer Massivität seien diese Proteste für die Regierung gefährlicher als alle bisherigen Aktionen der Opposition zusammengenommen, meinen Beobachter.