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"Opposition hat keine Möglichkeiten"

Von Ulrich Brand

Politik

Die venezolanische Bevölkerung habe keinen Einfluss mehr darauf, wer das Land regiert, sagt Soziologieprofessor Edgardo Lander.


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"Wiener Zeitung": Herr Professor Lander, wie geht es Ihnen?

Edgardo Lander:"Gut" kann man in Venezuela aktuell nicht sagen. Weil man dann angeblich auf Seiten der Regierung steht. Insgesamt bin ich natürlich ziemlich erschüttert über die Entwicklungen in Venezuela.

Ziemlich überraschend hat Präsident Nicolas Maduro vor einigen Wochen vorgezogene Präsidentschaftswahlen angekündigt, die nun am 20. Mai stattfinden und nicht Ende 2018, wie es vorgesehen waren. Warum hat er das getan?

Es geht ihm vor allem um den Erhalt der totalen politischen Kontrolle und die Ausnutzung der Tatsache, dass die Opposition aktuell sehr gespalten ist. Es gab Bürgermeisterwahlen Ende 2017, an denen die Opposition nicht teilnahm, weil die Bedingungen für freie Wahlen und einen fairen Wahlkampf nicht gegeben waren. Danach hat die von der Regierungspartei kontrollierte verfassunggebende Versammlung erklärt, dass jene Parteien, die nicht an den Wahlen teilnahmen, illegal seien. Erinnern wir uns an letztes Jahr. Die Verfassungsgebende Versammlung wurde Ende Juli 2017 durch fragwürdigen Wahlen eingesetzt und unter den 535 Mitgliedern ist kein einziges von der Opposition. Direkt nach ihrer Einsetzung hat sie sich als "über der Verfassung stehend" erklärt. Sie kann über alle öffentlichen Angelegenheiten entscheiden, Gesetze machen und hat de facto die Aussetzung der Verfassung von 1999 betrieben. Damit gibt es eigentlich keine Möglichkeiten, als Opposition bei Wahlen anzutreten.

Vor einem Jahr gab es ja eine sehr breite Mobilisierung gegen die Regierung. Warum geschieht das nicht mehr?

Damals gab es nicht nur Proteste der Opposition, sondern auch die einfache Bevölkerung hat gegen die undemokratischen Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung demonstriert. Das war weitgehend friedlich, doch radikale Teile der Opposition haben auch gewalttätig protestiert und es gab etwa 150 Tote. Viele wurden auch durch die Polizei getötet. Diese Gewalt hat viel Frustration in der Bevölkerung verursacht, aber auch einen Vertrauensverlust in die Opposition. Über die Frage, wer schuld an der Gewalt ist, wurden die Spaltungen in der Opposition vertieft. Es gab keinen gemeinsamen Kandidaten mehr und es wurde kein Vorschlag für politische Alternativen gemacht. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist, Maduro loszuwerden.

Was wurde aus den politischen Oppositionsführern Henrique Capriles oder Leopoldo Lopez?

Ihm und anderen wurden mit unbewiesenen Korruptionsvorwürfen die politischen Rechte genommen.

Es gab ja Ende 2017 in der Dominikanischen Republik Gespräche zwischen Regierung und Opposition. Was ist aus denen geworden?

Die politischen Differenzen wurden deutlich, vor allem, dass die Regierung keine freien Wahlen will. Ende Jänner wurde den Parteien die Möglichkeit gegeben, sich wieder juristisch anzumelden. Dafür mussten sie aber innerhalb von zwei Tagen eine bestimmte Anzahl von Unterschriften einreichen. Jetzt gibt es nur eine Partei, nämlich die alte Acción Democrática, die zugelassen ist. Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich unter diesem Dach die Opposition eint, da sie eine Partei des alten und von vielen Menschen ja nicht gewollten Venezuela ist. Zudem gehen die Ansichten der Opposition auseinander, wie ein eigener Präsidentschaftskandidat bestimmt werden könnte. Wenn der Kandidat mit offenen Vorwahlen bestimmt wird, schafft das eine hohe Legitimität; aber das braucht ja Zeit. Und das will die Regierung nicht.

Wie sieht die wirtschaftliche Situation aus?

Es gibt einen unglaublichen ökonomischen Einbruch. Ende der 1990er Jahre wurden 3,3 Millionen Barrel Öl pro Tag gefördert, heute sind es 1,6 Millionen. Und das in einem Land, das vollständig von den Ölexporten abhängig ist. Die Gründe liegen in fehlender Modernisierung, Korruption und Missmanagement. Damit fehlen der Regierung die Einnahmen. Es ist inzwischen ja nicht mehr der Ölpreis, der wieder gestiegen ist. Sondern es ist die fehlende Fördermenge. Hugo Chavez hatte vor seinem Tod noch erklärt, dass er die Fördermenge verdoppeln wolle. Die Abhängigkeit vom Öl und die verfehlte Politik führten dazu, dass Venezuela 60 Prozent der Lebensmittel importiert. Dazu kommt eine enorme Auslandsverschuldung. Die Schätzungen sind schwierig, aber die Zahl von 180 Milliarden Dollar scheint nicht unrealistisch. Und die Regierung muss dafür natürlich Zinsen zahlen, wodurch es nicht einfacher wird, Nahrungsmittel bereitzustellen oder die Krankenhäuser am Laufen zu halten. Dazu kommt eine nie dagewesene Korruption.

Die Regierung hat der Korruption doch den Kampf angekündigt.

Es geht aber eher um interne Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei. Das Argument der Korruption wird willkürlich gegen Gegner verwendet.

Wie sieht unter diesen Bedingungen der Alltag der Menschen aus?

Der Alltag ist unglaublich schwierig. Umgerechnet beträgt der Mindestlohn heute wenige US-Dollar. Die Einkommen reichen nicht und die Preise erfüllen nicht ihre Funktion. Einige Lebensmittel werden zwar subventioniert, aber es sind viel zu wenige. Für mein Telefon bezahle ich in fünf Jahren hingegen so viel wie für eine Tasse Kaffee. Auch das Benzin wird praktisch an die Bevölkerung verschenkt. Das Gesamtbild könnte man so beschreiben, dass die Regierung einen Teil der Öl-Einnahmen für die Bezahlung der Auslandsschulden verwendet und den anderen Teil für den Lebensmittelimport. Es gibt überhaupt keine Investitionen in Produktion, öffentliche Dienstleistungen, Infrastruktur. Das Transportwesen, das Gesundheitswesen und anderes kollabieren. Die Regierung agiert total kurzfristig. Durch die Knappheit an Lebensmitteln gibt es einen Tauschhandel und Warteschlangen, in denen die Menschen ihre Energie aufbringen müssen.

Wie viele Menschen haben in den letzten Jahren das Land verlassen?

Man schätzt, dass in den letzten drei Jahren etwa drei Millionen Menschen emigrierten. Anfangs waren es die gut Ausgebildeten, die in Firmen, Krankenhäusern, Hochschulen tätig waren, aber inzwischen zieht sich das durch alle Bevölkerungsgruppen. Das schafft auch bei denen, die hier bleiben, eine frustrierende Stimmung.

Der Alltag wird auch durch die enorme Inflation erschwert.

Ja. Im letzten Jahr betrug die Inflation 1600 Prozent und dieses Jahr könnte es in den fünfstelligen Bereich gehen. Ein Unternehmer oder die Beschäftigten können einfach nicht kalkulieren. Dazu kommt, dass die Regierung plötzlich eine Preisgrenze einführt, etwa auf Fleisch. Doch die liegt unter den Produktionskosten, was bedeutet, dass Produkte vom Markt verschwinden. Es werden in diesen Zeiten Lebensmittel geraubt, Lastwagen auf den Autobahnen überfallen. Es gibt Hunger in der Bevölkerung und Fälle, dass Kinder im Spital an Unterernährung sterben. Im Durchschnitt verlieren die Menschen Körpergewicht, was man sarkastisch als "Maduro-Diät" bezeichnet.

Welche Rolle spielt das Militär in dieser Situation?

Die Militärführung steht weitgehend auf Seiten der Regierung, ideologisch, aber auch materiell, weil in der Führung und auf mittlerer Ebene eine unglaubliche Korruption herrscht. Sie haben viel zu verlieren bei einem Regierungswechsel. In den unteren Rängen gibt es viel Unmut, weil der Sold nicht zum Leben reicht.

Maduro wird die Wahlen also gewinnen?

Das ist absolut sicher. Wenn es ein Risiko gäbe, dass er nicht gewinnt, würde die verfassungsgebende Versammlung einfach ein neues Gesetz verabschieden. Wir leben in einer Diktatur, weil es keine Wahlmechanismen gibt, in denen die Bevölkerung entscheiden kann, wer Venezuela regiert.

Welche Alternativen gibt es?

Die Szenarien sind schwierig. Die US-Regierung deutet immer wieder an, dass sie sich eine Intervention von außen vorstellen könnte. Das wäre eine Katastrophe mit der Gefahr eines Bürgerkriegs. Möglich ist auch eine soziale Explosion mit unübersichtlichen Folgen; Plünderungen, Gewalt und einer sich dadurch formierenden Mafia.